Bündnis für Versammlungsfreiheit Stuttgart


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Aktuelles

Stuttgart 21: „Matrix“ von Oberstaatsanwalt a.D. Häußler - Anstiftung der Polizei zum Verfassungsbruch?
Diese Frage stellt sich spätestens seit das Verwaltungsgericht Stuttgart in mehreren Fällen Platzverweise wegen angeblicher "Verhinderungsblockaden" für rechtswidrig erklärt und festgestellt hat, dass die Blockaden der öffentlichen Meinungsbildung dienten und somit unter dem Schutz der verfassungsrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit standen.


Inzwischen rudert auch das Polizeipräsidium Stuttgart zurück:

Es zog kurz hintereinander einen Bescheid über 80 € Wegtragegebühr zurück und erkannte die Gewahrsamnahme von zehn Stuttgart 21 Gegnern im Februar 2011 als rechtswidrig an.

Politisch brisant ist, dass Häußler der Stuttgarter Polizei einen generellen Katalog von Gesichtspunkten an die Hand gegeben hatte für die Unterscheidung, ob es sich um verfassungsrechtlich geschützte Versammlungen handelt oder um Menschenansammlungen, die diese Rechte nicht beanspruchen können.

Bis heute hält sich die Polizei an diese schriftlichen Äußerungen Häußlers, die in Strafverfahren als Häußlers „Matrix“ bezeichnet werden.

Die Gerichtsentscheidungen und das aktuelle Verhalten des Polizeipräsidiums legen jetzt nahe, dass Häußlers „Matrix“ rechtsfehlerhaft war und die danach handelnden Polizeibeamten dadurch zumindest objektiv zum Verfassungsbruch angestiftet wurden.

Dies zu überprüfen, ist bis dato nicht möglich, weil das Polizeipräsidium Gerichten und Verfahrensbeteiligten die Einsicht in Häußlers „Matrix“ ohne Rechtsgrundlage verweigert.

"Damit muss jetzt Schluss sein, das Polizeipräsidium ist gehalten, die „Matrix“ zu veröffentlichen und wenn sich der Verdacht der Rechtsfehlerhaftigkeit bestätigt, muss gegen Häußler ein Verfahren eingeleitet werden," so Thomas Trüten, Sprecher des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit.

Die bei den rechtswidrigen Polizeieinsätzen erfassten Personalien, Bild- und Videodateien müssen nachkontrollierbar gelöscht werden, auch nach Einstellung der Verfahren bleiben die Daten sonst noch fünf Jahre in den Datenbanken von LKA und BKA gespeichert.

"Auch für die unselige Wegtragegebühr hat hoffentlich die letzte Stunde geschlagen. Die rot-grüne Landesregierung muss diese Verordnung, die von Anfang an in einer rechtlichen Grauzone angesiedelt war, endlich aufheben.

Bis es soweit ist, würde es der Stuttgarter Polizeiführung gut zu Gesicht stehen, wenn sie alle Gebührenbescheide zurückzieht und bereits bezahlte Gebühren zurückzahlt," sagte Thomas Trüten weiter.

Quelle: Pressemitteilung vom 9. November 2014

Arbeitskampf und Versammlungsfreiheit: Mit dem Versammlungsgesetz gegen Streikende?
2007, Schleswig-Holstein:

Die IG Bau bestreikt im Rahmen der Tarifrunde Baustellen. Bei Ansammlungen von Streikposten und Streikenden vor den Baustelleneinfahrten rufen die Unternehmer die Polizei wegen unangemeldeter Versammlung. Die Polizei greift in das Streikgeschehen ein, löst die Ansammlungen wegen fehlender Anmeldung auf, kesselt die Teilnehmer ein und stellt ihre Identität fest. Ermittlungsverfahren werden eingeleitet.

2008, München :

15 streikende Beschäftigte versammeln sich mit Transparenten und Flugblättern vor der Filiale der Modekette „Zara“ und machen ihren Streik bekannt. Nach einer Stunde beenden sie ihre Aktion. Der zuständige Gewerkschaftsfunktionär hat diese Aktion nicht als Versammlung angemeldet und wird deshalb vom Amtsgericht München wegen Verstoß gegen das bayerische Versammlungsgesetz zu 1600 € Strafe verurteilt.

2012, Köln:

Ford-Beschäftigte aus Genk (Belgien) fahren nach Köln, um dort vor den Werkstoren von Ford gegen die Schließung ihres Werks zu demonstrieren. Dabei sollen Böller verwendet und Autoreifen angezündet worden sein. Sie werden stundenlang von einem riesigen Polizeiaufgebot eingekesselt,erkennungsdienstlich behandelt, einige in Gewahrsam genommen, die anderen nach Belgien abgeschoben.

Ein Jahr später beantragt die Staatsanwaltschaft 12 Strafbefehle beim Amtsgericht wegen Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Nötigung und Verstoß gegen das Versammlungsrecht.

2013, Großbettlingen (Kreis Esslingen):

Die Belegschaft der Firma Norgren kämpft gegen die Schließung ihre Werks und versucht den Abtransport von Anlagen durch die Blockade beider Werkstore mit Autos zu verhindern. Dabei befinden sie sich formal auf Firmengelände, das aber öffentlich zugänglich ist.

Dies führt dazu, dass sich zum einen das Landratsamt Esslingen als zuständige Versammlungsbehörde einschaltet, die Blockade für illegal erklärt und mit der Auflösung der angemeldeten Versammlung vor dem Werkstor droht. Zum anderen beantragt Norgren parallel dazu beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung gegen die IG Metall und 38 namentlich genannte Kollegen/innen, darunter den Versammlungsleiter der IGM, in der jedem Einzelnen 250.000 € Strafe angedroht werden und dem Versammlungsleiter alternativ Ordnungshaft.

Das Arbeitsgericht kassiert zwar die Strafandrohung gegen die 38 Kollegen/innen, gibt aber dem Antrag von Norgren statt und belässt die Strafandrohung gegen die IG Metall bzw. den Versammlungsleiter, den 2. Bevollmächtigten der IGM Esslingen Jürgen Gross, bei 250.000 € bzw. ersatzweise Ordnungshaft für jeden Fall der Zuwiderhandlung

So verschieden gelagert diese Fälle auch sein mögen, so zeigen sie doch deutlich die Tendenz, staatliches Eingreifen in Arbeitskampf- und Streikgeschehen zugunsten der Unternehmer durch den Umweg über das Versammlungsgesetz bzw. diverse Länderversammlungsgesetze zu organisieren.

Eine Entwicklung, die in der gewerkschaftlichen Diskussion noch kaum eine Rolle spielt.

Die formaljuristische Konstellation ist relativ verworren: Es kollidieren zwei Grundrechte: die Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 GG und das, was man allgemein „Streikrecht“ nennt, abgeleitet aus der Koalitionsfreiheit Artikel 9 Abs.3 GG. Ist die Versammlungsfreiheit ein Individualrecht, das jeder in Anspruch nehmen kann, so wird das Streikrecht nur Vereinigungen, d.h. In diesem Fall Gewerkschaften, gewährt.
„Die Bundesrepublik Deutschland hat weltweit das rückständigste und restriktivste Streikrecht.(ausgenommen sind hier Diktaturen und andere autoritäre Regimes – Anmerkung des Verfassers). Das Streikrecht in Deutschland ist lediglich Richterrecht. Im Grundgesetz findet sich außer der Koalitionsfreiheit gemäß Artikel 9 Abs. 3 kein konkreter Hinweis (…) Auch mit den Illegalisierungen von Beamtenstreiks, wilden Streiks, Blockaden, Boykotts, dem Streikverbot durch die christlichen Kirchen, der Einengung von Streikmöglichkeiten nur auf tarifvertraglich regelbare Ziele und den Einschränkungen bei Sympathiestreiks, sind Defizite in unsrer politischen und wirtschaftlichen Demokratie verankert.“

So charakterisiert der Wiesbadener Appell „Für ein umfassendes Streikrecht“ den Zustand des Streikrechts hierzulande.

In anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder Italien ist das Streikrecht in der Verfassung verankert als individuelles Recht jedes abhängig Beschäftigten auch unabhängig von einem Aufruf, Urabstimmung etc. durch die zuständigen Gewerkschaften in den Streik zu treten. Natürlich gibt es auch in diesen Ländern die verschiedensten Einschränkungen des Streikrechts (z.B. im Öffentlichen Dienst), aber z.B. die Beschränkung auf Tariffragen ist dort ebenso unbekannt wie das Verbot des Generalstreiks.

Wie die Fallbeispiele zu Anfang zeigen, droht dem ohnehin verstümmeltem Streikrecht hierzulande jetzt auch noch Ungemach von versammlungsrechtlicher Seite.

Spätestens nach dem Münchner Urteil gegen den verdi-Kollegen stellt sich die Frage, wie sich die Regeln des Versammlungsrechts mit der Natur von Arbeitskämpfen vertragen: „Müssen also Streikversammlungen, wenn sie außerhalb der Betriebe stattfinden, nach § 14 (VersG) angemeldet werden – und wenn ja, gilt dies für alle ohne Ausnahme ? Verstößt ein Arbeiter, wenn er bei einer Streikversammlung unter freiem Himmel seinen Arbeitshelm trägt, gegen das sogenannte Schutzwaffenverbot („passive Bewaffnung“) des § 17a VersG? Verletzt er das Waffenverbot, wenn er sein Arbeitsgerät mit sich führt ? Ist es mit der Koalitionsfreiheit zu vereinbaren, dass die Polizei, wie es § 12a VersG erlaubt, die Streikversammlung filmt und die Reden mitschreibt?“ („Streikgeschehen als anmeldepflichtige Versammlung“ H.Wächtler in „Arbeit und Recht“ Ausgabe 5/2009).

Allein die Anmeldepflicht hätte weitreichende Folgen: Wesentlicher Bestandteil gewerkschaftlicher Streiktaktik ist der Überraschungseffekt. Durch den Zwang zur vorherigen Anmeldung fällt dieser weg, die betroffenen Unternehmen können sich vorbereiten, im Fall der Münchner „Zara“-Filiale z.B. durch Doppelbesetzung zentraler Funktionen wie der Kasse, die schleswigholsteinischen Bauunternehmer durch vorübergehende Stornierung und Umdirigierung von Zulieferungen.

„Eine Pflicht zur vorherigen Anmeldung dieser Streiks würde die Kampffähigkeit der streikführenden Gewerkschaft in schwerwiegender Weise beeinträchtigen.“ ( H.Wächtler s.o.)
Damit nicht genug. Eine angemeldete Versammlung braucht einen Versammlungsleiter. Wenn, wie im bayerischen Versammlungsgesetz vorgesehen, auch der gewerkschaftliche Versammlungsleiter auf „Zuverlässigkeit und Eignung“ überprüft wird, werden dessen persönliche Daten erfasst und mit polizeilichen und staatsschutzrechtlichen Dateien abgeglichen. Das Bundesverfassungsgericht spricht in seiner Eilentscheidung zum bayerischen Versammlungsgesetz vom 17.2.2009 deshalb auch davon, dass „(...) Beobachtungs- und Dokumentationsmaßnahmen (…) Teilnehmer an einer unbefangenen Mitwirkung in der vom Veranstalter vorgesehenen Weise hindern (können)“ (zitiert nach H.Wächtler s.o.).

Durch die dargestellten versammlungsrechtlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen kann der Staat direkt in den Arbeitskampf eingreifen, die Ausübung des Streikrechts würde von einer amtlichen Genehmigung abhängig gemacht.

Was ist zu tun?
In seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zum Versammlungsrecht in Schleswig Holstein vom 9.8.2012 fordert der DGB eine „Arbeitskampfklausel“: „Dies würde dem besonderen Charakter von Versammlungen im Rahmen von Tarifauseinandersetzungen im Kontext des Artikel 9 Abs. 3 gerecht werden.“ Sie soll sicherstellen, „dass das weitergehende Grundrecht auf Koalitionsfreiheit seinen eigenen Schutzzweck behält und nicht über eine Beschränkung durch das Recht auf Versammlungsfreiheit teilweise leer läuft.“

So verständlich diese Anliegen ist, klingt die vom DGB vorgeschlagene Regelung doch etwas nach dem berühmten Sankt-Florians-Prinzip. In der Begründung für die Arbeitskampfklausel vom 27.1.2014 liefert der DGB darüber hinaus ein schönes Beispiel dafür, wie neue Regelungen nur neue Grenzen schaffen können: Es wird unterschieden zwischen Versammlungen, die „unmittelbaren Druck auf den Arbeitgeber ausüben“ - keine Anmeldung erforderlich – und Versammlungen, die nur „mittelbar über eine Solidarisierung der Öffentlichkeit Druck auf den Arbeitgeber ausüben“ - Anmeldung „sinnvoll“. Man darf gespannt sein, wie diese zwei „Versammlungsarten“ in der polizeilichen und juristischen Wirklichkeit voneinander abgegrenzt werden oder eben auch nicht.

Der DGB-Vorschlag greift aber insgesamt zu kurz. Vielmehr wäre es angebracht, wenn die Gewerkschaften auch die gesellschaftliche Dimension der Auseinandersetzung um die Versammlungsfreiheit in den Mittelpunkt rücken würden und sich wesentlich offensiver in diese Auseinandersetzung einmischten. Die Initiative gegen das bayerische Versammlungsrecht von verdi Bayern sei hier beispielhaft genannt.

So sind ja auch die Gewerkschaften nicht nur beim Arbeitskampf von den Restriktionen des Versammlungsgesetzes betroffen, man denke nur daran, dass in Heilbronn und Ulm Kolleginnen und Kollegen durch Polizeikessel im Zusammenhang mit antifaschistischen Demonstrationen an der Teilnahme an Maikundgebungen des DGB gehindert wurden. Im Vorfeld der DGB-Demonstration am 1.Mai 2014 in Stuttgart führte die Polizei sogenannte „Vorkontrollen“ durch, bei denen Leute über längere Zeiträume festgehalten und an der Wahrnehmung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit gehindert wurden. Dasselbe passierte bei der gewerkschaftsnahen Blockupy-Demonstration am 17.Mai 2014 ebenfalls in Stuttgart, zu der u.a. der verdi-Bezirk Stuttgart aufgerufen hatte.

Inhaltlich geht es darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass das Streikrecht und die Versammlungsfreiheit diejenigen Grundrechte sind, die die Möglichkeit eröffnen, tatsächlichen, spürbaren Druck auf Kapital und Politik auszuüben.

Die Kraft der kämpfenden Arbeiterklasse besteht in ihrer Fähigkeit, den Lebensnerv der kapitalistischen Gesellschaft, die Profitproduktion zu treffen. Gesamtgesellschaftlich wird diese Stärke noch wirksamer, wenn sie sich auf die Straßen und Plätze der Städte ergießt und sich dort mit anderen sozialen-und Protestbewegungen vereinigt.

Folglich muss alles dafür getan werden, diese Rechte nicht nur zu verteidigen, sondern zu erweitern in Richtung eines umfassenden Streikrechts und eines fortschrittlichen Versammlungsgesetzes.

Dazu schreibt das Komitee für Grundrechte und Demokratie in Bezug auf die Versammlungsfreiheit: „Würde ein Artikel 8 - „Jede Person hat das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen mit anderen zu versammeln und Versammlungen zu veranstalten“ - dieses Recht nicht vielleicht besser schützen können als jedes Versammlungsgesetz, das nur wieder neue Grenzen zu ziehen versucht ?“ ( Blockupy 2013 – Der Frankfurter Polizeikessel am 1.Juni 2013, S.69/70)

Diese Überlegung ist nicht von der Hand zu weisen. So wurde in Frankreich das Streikrecht ursprünglich ebenfalls unter Gesetzesvorbehalt gestellt („Näheres regelt ein Gesetz“). Dieses Gesetz wurde aber nie verabschiedet bzw. die Verabschiedung scheiterte am Widerstand der Arbeiterbewegung.

Dies weist auf einen grundsätzlichen Aspekt der Auseinandersetzung hin: Rechtsfragen sind immer auch Machtfragen. Es geht nicht in erster Linie um ausgeklügelte Gesetzesformulierungen, sondern um den Einsatz der Kraft der Gewerkschaftsbewegung und anderer sozialer- und Protestbewegungen für die Verteidigung und Erweiterung der Grundrechte.
Trotzdem sollen einige Eckpunkte der Ausgestaltung eines möglichen „zukünftigen“ Artikel 8 des Grundgesetzes genannt werden:

-Das Recht, die Form und Ausgestaltung der Versammlung frei zu wählen.

- Die Vorrangigkeit der Versammlungsfreiheit vor nachgeordneten Gesetzen wie den Vorschriften der Polizeigesetze, der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Gewerbefreiheit. Also keine Einschränkungen der Versammlungsfreiheit z.B. wegen der „Leichtigkeit des Autoverkehrs“ oder angeblicher Umsatzeinbußen des Einzelhandels.

- Das Verbot aller Maßnahmen staatlicher Organe und Institutionen, die geeignet sind, die äußere und innere Versammlungsfreiheit zu gefährden, insbesondere Videoüberwachung, Polizeikessel, „enge Begleitung“ durch Polizeiketten.

Und last but not least die Kostenfreiheit aller Amtshandlungen im Rahmen der Wahrnehmung des Rechtes auf Versammlungsfreiheit (Anmeldegebühren etc.) und die Aufhebung aller Bannmeilengesetze.

Nachtrag:
- Die Ermittlungsverfahren gegen Teilnehmer am IG Bau-Streik 2007 in Schleswig Holstein wurden allesamt eingestellt.

- Der Münchner verdi-Kollege ging in die nächste Instanz vor das Landgericht. Dieses setzte den Prozess aus bis zur Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde gegen das bayerische Versammlungsgesetz. In der Eilentscheidung wurde der Verstoß heruntergestuft zur Ordnungswidrigkeit. Dadurch war kein Straftatbestand mehr gegeben, das Verfahren wurde eingestellt.

- Gegen die Strafbefehle haben alle betroffenen Ford-Kollegen/innen aus Genk Widerspruch eingelegt. Der erste Prozess fand am 11.Juni vor dem Amtsgericht Köln statt.

- Norgren hat die Anlagen abtransportiert. Nach neun Wochen Streik wurde in der Urabstimmung der ausgehandelte Sozialtarifvertrag mit 88% Zustimmung angenommen. Das Werk wurde Ende 2013 geschlossen.



Vortrag zur Versammlungsfreiheit am 03. September in Göppingen

Auf Einladung der antifaschistischen Gruppe Göppingen hat unser Bündnissprecher Thomas Trüten gestern in Göppingen einen kurzen Vortrag für das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit gehalten:

Liebe FreundInnen,
ich freue mich über die Gelegenheit heute mit Euch zu diskutieren. Die skandalösen Ereignisse von letztem Samstag unterstreichen erneut die Notwendigkeit, gerade auch in Göppingen, einige Fragen zu klären. OB Till hat einmal mehr unter Beweis gestellt, was von seinen Versprechungen zu halten ist. Er stellt sich über Abmachungen mit dem "runden Tisch gegen Rechts" und was viel schlimmer ist - er lässt Faschisten demonstrieren und stellt sie damit ob er will oder nicht - auf eine Stufe mit Demokraten. Zudem tut er in dem Gespräch, das die Stuttgarter Zeitung gestern veröffentlichte so, als sei es eine Sache des Glücks, ob 30 oder 300 Nazis demonstrieren. Das nenne ich geschichtslos und es zeigt für mich, was er als Bündnispartner wert ist. Wir als Bündnis für Versammlungsfreiheit sagen dagegen: Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen - Keine Versammlungsfreiheit für Faschisten!

Was aber ist Versammlungsfreiheit? Ich möchte zunächst einmal das Bundesverfassungsgericht als „unverdächtige Quelle“ zu Wort kommen lassen: „Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben. Schon in diesem Sinne gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers. In ihrer Geltung für politische Veranstaltungen verkörpert die Freiheitsgarantie aber zugleich eine Grundentscheidung, die in ihrer Bedeutung über den Schutz gegen staatliche Eingriffe in die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung hinausreicht.“

Und weiter: „An diesem Prozess sind die Bürger in unterschiedlichem Maße beteiligt. Große Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien können beträchtliche Einflüsse ausüben, während sich der Staatsbürger eher als ohnmächtig erlebt. In einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt sind, verbleibt dem Einzelnen neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im Allgemeinen nur eine kollektive Einflussnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen.“ (BVerfGE 69, 315 – Brokdorf-Beschluss vom 14. Mai 1985)

Versammlungen „enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“, sagt das Bundesverfassungsgericht auch in eben dieser Grundsatzentscheidung.

Hier in Göppingen gab es ja in der Vergangenheit ein paar Unklarheiten zur Frage der Rechtmäßigkeit von Sitzblockaden. Lassen wir auch hier das BVerfGE zu Wort kommen: „Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 [342 f.]; 87, 399 [406]). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206 [248]; 87, 399 [406]; 104, 92 [103 f.]). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl.BVerfGE 69, 315 [345]).“

Auch wenn manche Polizisten das anders sehen - Stichwort: Polizeigesetz: Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind, solange die Teilnehmenden unter dem Schutz des Versammlungsrechts stehen, nach geltendem Recht grundsätzlich nicht nach allgemeinem Polizeirecht, sondern nur auf Grundlage des Versammlungsgesetzes möglich. Auch auf dem Weg zu einer Versammlung steht der Teilnehmende unter dem Schutz des Versammlungsrechts. Das machte das VG Sigmaringen in seinem Urteil vom 29. November 2010 zur Klage gegen den Ulmer Polizeikessel gegen Demonstranten, die mit 3 Bussen zum 1. Mai 2009 anreisten und stundenlang gekesselt wurden, deutlich. Wir kennen allerdings auch die entgegengesetzte Praxis aus der Entscheidung des VG Stuttgart zu den Klagen gegen den Heilbronner Polizeikessel 2011. Damals wurden zwischen 400-500 Menschen, die zum 1. Mai in der Innenstadt gehen wollten, bis zu 12 Stunden festgesetzt.

Das Sigmaringer Gericht stellte damals auch klar, dass das Versammlungsgesetz in seinem Anwendungsbereich als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vorgeht. „Eine auf allgemeines Polizeirecht gegründete Maßnahme, durch welche das Recht zur Teilnahme an der Versammlung beschränkt werde, scheide aufgrund der Sperrwirkung der versammlungsrechtlichen Regelungen aus.“ (VG Sigmaringen, Urteil vom 29. November 2010, Az. 1 K 3643/09).

Versuchen wir einmal das auf den Punkt zu bringen: Die politische Bedeutung des Versammlungsrechtes besteht darin, dass es wesentliche Voraussetzung für die legale Arbeit demokratischer und antifaschistischer Bewegungen unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen ist.

Versammlungsfreiheit steht als positiver Begriff, der für uns über die bloße juristische Rechtslage hinausgeht. Deshalb bezeichnen wir uns als „Bündnis für Versammlungsfreiheit“ und nicht für „Versammlungsrecht“. In erster Linie ist das Versammlungsrecht Ausdruck des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen, die herrschende „gewährt“ dieses Recht, weil dieses von den Unterdrückten, erstmals zum Zuge der bürgerlichen Revolution 1848 erkämpft wurde. Dieser Vorgang ist nicht abgeschlossen und wird dies so lange nicht sein, wie es Klassenkämpfe gibt. An uns ist es, Grundrechte täglich zu verteidigen und weiter auszubauen.

Juristische Bedeutung.
Niemand kommt heute darum herum, sich als Aktivist mit der herrschenden Justiz, dem Überbau dieser Gesellschaftsordnung auseinanderzusetzen. Meistens wird er es sowieso müssen. Das Feld der Justiz ist jedoch ebenso Ausdruck der Macht- bzw. Klassenverhältnisse wie oben und der „Spielraum“ ist sehr begrenzt. Wenn überhaupt dann können juristische Auseinandersetzungen nur politisch geführt und „gewonnen“ werden, weshalb eine breiten Solidaritätsbewegung und -arbeit entscheidende Bedeutung zukommt. Deshalb „lohnt“ sich eine juristische Auseinandersetzung nur in ausgewählten Fällen. Am Beispiel der Klage gegen den Polizeikessel von Heilbronn zeigt sich, dass eine Geringschätzung der Solidaritätsarbeit sich fatal auswirken kann und wird. Diese Geringschätzung wirkt im Verhältnis zu den über 120 Klagen gegen Antifas wegen der Proteste gegen den Naziaufmarsch letztes Jahr fort, zu denen es bislang nicht gelingt, eine öffentlich beachtete Solidaritätsarbeit zu entfalten. Dies wirkt sich negativ auf unsere Proteste aus und zeigt der Gegenseite auch, dass wir momentan auf diesem Feld nicht in der Lage sind, eine Arbeit über einzelne Fragen hinaus zu entwickeln.

In diesem Zusammenhang nochmals zur Frage „Versammlungsfreiheit für Nazis“. Der Aufbau und die Stärkung reaktionärer und faschistischer Kräfte mit dem Ziel der Zerschlagung der Arbeiterbewegung ist gerade in Krisenzeiten die Regel. Wir können das aktuell in der Ukraine verfolgen, wo der Mord an Dutzenden Menschen die sich in das Gewerkschaftshaus in Odessa geflüchtet hatten, inzwischen offenbar auch nur ein Ereignis unter vielen ist. Faschismus an der Macht ist nach Dimitroff „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Faschismus ist also keine Meinung, sondern ein Verbrechen, was dieser auch zu Genüge unter Beweis gestellt hat. Deshalb: keinerlei demokratische Rechte für die Feinde demokratischer Regeln! Wir fordern ein Versammlungsrecht auf antifaschistischer Grundlage.

Lasst mich im Übrigen sagen, dass ich die Frage nach einem Versammlungsrecht für Nazis nicht für ehrlich halte. Seit dem 10. Oktober 1945 ist gemäß dem im §139 GG fortwirkenden alliierten Kontrollratsgesetz Nr. 2 (Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen) jegliche nationalsozialistische Betätigung verboten. Die Frage, warum Verbotsanträge für Naziaufmärsche immer wieder scheitern erklärt sich auch damit, dass diese in der Regel oft verwaltungsrechtlich und nicht politisch oder auch so gestellt wurden, dass sie scheitern mussten. Gretchenfrage: Die AN Göppingen konnte die Kundgebung vom Samstag nicht anmelden, das mussten andere Organisatoren tun.

Erfahrungswerte und Leistungsschauen
Natürlich kann nicht ernsthaft darauf vertraut werden, dass sich der Faschismus mit der richtigen Anwendung von Gesetzen bekämpfen oder gar verhindern lässt. Im Gegenteil: Meistens wird auch das Versammlungsrecht gegen uns eingesetzt. (Auflagen ../..) Es geht aber auch anders: Um eine NPD Kundgebung im September letzten Jahres zu verhindern, beraumte Gerold Noerenberg (CSU), OB von Neu – Ulm kurzerhand eine "Leistungsschau des städtischen Baubetriebs" an - und ließ tonnenschwere Nutzfahrzeuge auf den Rathausplatz karren. Genau dort hatte eigentlich die NPD demonstrieren wollen. Auch wenn das Beispiel nicht beliebig zu wiederholen ist, kommt hier zum Ausdruck, was ich eine Frage der Haltung nenne. Und die fehlt mir bei Herrn Till und sämtlichen Beteiligten der Stadtverwaltung, die vergangenen Samstag einmal mehr einen Naziaufmarsch ermöglicht haben.

Gegen gerichtliche Aufhebungen von Verboten rechter Demos kann man eh nichts machen – also muss man nichts machen?

Ist die Schlussfolgerung, die Frage politischer Rechte rechts liegen zu lassen deshalb richtig? Für mich ist es eine Kernfrage, warum die Frage politischer Rechte nicht „en Vogue“ ist oder den Juristen und Bürgerlichen oder schlimmstenfalls der Gegenseite überlassen wird und es schwer fällt, eine mittel und langfristig angelegte Arbeit zu entwickeln.

Denn die Frage oder Forderung eines fortschrittlichen Versammlungsrechtes bezieht sich notwendigerweise immer auch auf andere Bewegungen. Zum einen, weil die notwendige politische Freiheit für die eigene politische Arbeit für alle demokratischen und fortschrittlichen Bewegungen Grundvoraussetzung ist. Zum anderen, weil eine entsprechende gesellschaftliche Praxis die wesentliche Voraussetzung überhaupt ist, die Frage nach einer befreiten Gesellschaft zu stellen.

Unser Bündnis wurde 2008 im Protest gegen die von der damaligen CDU Landesregierung gehegten Pläne zur Verschärfung des Versammlungsrechts gegründet und zeitweise von mehr als 120 Organisationen unterstützt.

Wir haben vom ersten Tag an die Einordnung der Auseinandersetzung um die Versammlungsfreiheit in politischen Kämpfe immer bezogen auf die herrschenden Machtverhältnisse und darauf gedrängt, dass jede Bewegung sich dem Kampf um ihre Rechte annehmen und dafür Bündnispartner gewinnen muss, die nicht unbedingt mit ihrem primären Ziel einig sein müssen.

Beispiele dafür waren neben unserem eigenen bunten und durchaus gegensätzlichen Unterstützerkreis die Auseinandersetzung um Stuttgart 21. Das gegenwärtig laufende Verfahren zum Polizeieinsatz vor 4 Jahren war nur möglich, weil sich auch Menschen, die nichts mit dem S21 Protest am Hut hatten, solidarisch zeigten.

Das war auch der Punkt, weshalb eine ganze Reihe Organisationen die „Göppinger Erklärung“ unseres Bündnisses vom 29. Oktober letzten Jahres unterstützten. Es ist hier gelungen, die breite Kritik an der Abrieglung der Stadt angesichts des Naziaufmarsches vom 11. Oktober 2013 auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen:

„Für uns ist es nicht hinnehmbar, dass AntifaschistInnen festgesetzt, eingeschüchtert und kriminalisiert werden!

Antifaschismus ist und bleibt notwendig!

Weder ausufernde Polizeigewalt noch juristische Schikanen können uns einschüchtern.

Geeint unterstützen wir alle, die sich gegen eine solche Willkür einsetzen!

Wir fordern politische und juristische Konsequenzen aus den Ereignissen am 12. Oktober in Göppingen:

Für Versammlungsfreiheit und lebendigen Widerstand!
Für die Einstellung sämtlicher Verfahren gegen AntifaschistInnen in
Zusammenhang mit den Protesten gegen den Naziaufmarsch vom 12. Oktober 2013!“

Leider brachte diese gegen zum Teil erheblichen Widerstand in den eigenen Reihen – so fehlt als Unterstützer die IG Metall Göppingen ebenso wie der DGB aus diesem Kreis – erkämpfte Erklärung nicht den nötigen Rückenwind für die Entfaltung einer breiten Solidaritäts- und Protestkampagne. Diese wäre ebenso notwendig gewesen, um neben einer – auch juristisch möglichen – Einstellung der Verfahren auch einen Kurswechsel der Stadt Göppingen herbei zu führen.

Da inzwischen kaum noch ein Protest gegen Nazis ohne Polizeimaßnahmen, die juristisch bereits „geklärt“ sind, möglich zu sein scheint, muss klar sein, dass – so richtig es ist, neue Aktionsformen zu entwickeln, auch der Umgang mit der Repression eingeplant werden muss. Diese zu ignorieren bedeutet, diese Maßnahmen – ich nenne Kessel, Filmerei, kein Protest in Hör- und Sichtweite, Vorkontrollen etc. - hinzunehmen.

Wir lassen uns viel zu oft erkämpfte Rechte abknöpfen. Damit wird von Staats wegen sowohl gerechnet als auch mehr oder weniger offen darauf spekuliert. Eines der Beispiele, die sich anbietet: Wer redet denn heute noch von den „Gefahrengebieten“ in Hamburg?

Die „Lösung“ für die Problematik gibt es nicht und diese kann auch nicht aus einem Bündnis heraus kommen. Die Repression und der Ein- bzw. Angriff auf bürgerlich-demokratische Grundrechte wie dem Versammlungsrecht bezieht sich nicht allein auf den antifaschistischen Kampf und kann deswegen auch nicht nur von diesen zurückgewiesen werden.

Dennoch ist es aus unserer Sicht angebracht, darüber nachzudenken, ob es angesichts neuer Qualitäten in der Repression nicht nötig wäre, sich auch politisch etwas mehr aus dem Fenster zu lehnen und erheblich mehr Druck aufzubauen. 500 Gekesselte brauchen Unterstützung dafür, diese Erfahrung im Betrieb, in ihrer Gewerkschaftsgruppe, im Verein, in der Schulklasse an der Uni etc. auf die Tagesordnung zu setzen.

Ich danke für Eure Aufmerksamkeit.

(Es gilt das gesprochene Wort)

Solidaritätserklärung des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit mit Hamburger Demofotografen

Am Mittwoch durchsuchte die Hamburger Polizei bei einem Linke- und ver.di-Aktivisten die Wohnung. Dazu eine Solidaritätserklärung des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit:

Sehr geehrte Damen und Herren,
am Morgen des 23.07. hat es eine Hausdurchsuchung bei dem Mitglied der Partei DIE LINKE und ver.di-Jugendvertreter T. gegeben, der Betreiber der Facebookseite Demofotografie HH ist. Auf dieser Website werden Bilder von Demonstrationen gepostet.

Angeblich wurden durch die Veröffentlichung der Fotos die Persönlichkeitsrechte von PolizeibeamtInnen verletzt. Abgesehen davon, dass die Teilnahme – auch im Dienst als PolizistIn – bei öffentlichen Versammlungen Teil des öffentlichen Lebens ist und man damit rechnen muss, auf Fotos zu erscheinen, ist es völlig unverhältnismäßig deswegen eine Hausdurchsuchung durchzuführen.

Die Polizei scheint der Meinung zu sein, dass ihr Verhalten auf Demonstrationen in der Öffentlichkeit nicht
dokumentiert werden soll. Angesichts der vielfältigen Übergriffe der Polizei in Hamburg gegen Flüchtlinge und DemonstrantInnen in den letzten Wochen und Monaten, ist das zwar nicht überraschend – aber eine öffentliche Dokumentation umso wichtiger.

Die Hausdurchsuchung kann in diesem Zusammenhang nur als offensichtlicher Einschüchterungsversuch gegen AktivistInnen verstanden werden.. Wir werten dies auch als einen Angriffe auf die Pressefreiheit und damit auf unsere erkämpften demokratischen Rechte.

Wir erklären unsere Solidarität mit T. und fordern:
- die sofortige Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen ihn
- sofortige Rückgabe aller beschlagnahmten Gegenstände


Download der Solidaritätserklärung des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit mit T. vom 26. Juli 2014


Im Zweifel gegen die Versammlungsfreiheit? Vom Polizeikessel in den Polizeicomputer


Von Wolfram Treiber

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Vor etlichen Jahren fragte der Referent auf einer Veranstaltung zum Versammlungsrecht als Einstieg das Publikum, was denn das Versammlungsrecht sei. Kennzeichnenderweise kamen daraufhin lauter Beiträge, die die Einschränkung des Versammlungsrechts beschrieben, und das bei einem Publikum, das wohl in seiner großen Mehrheit mit Sicherheit für die Versammlungsfreiheit eingestellt war. Offensichtlich haben deren Einschränkungen in der Praxis bis heute dazu geführt, dass in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ihre Gewährleistung, sondern ihre vielfältige Einschränkung und Reglementierung als „normal“ begriffen werden . Insofern erscheint es sinnvoll, zunächst einmal das Bundesverfassungsgericht als „unverdächtige Quelle“ zu Wort kommen zu lassen und auf dieser Grundlage an einzelnen Beispielen aktuelle Einschränkungen der Versammlungsfreiheit zu kommentieren.

Unabhängig davon darf nicht übersehen werden, dass bereits die grundgesetzlich garantierte Versammlungsfreiheit nur für Deutsche gilt und bereits durch das Versammlungsgesetz erheblich eingeschränkt wurde. Darüber hinaus hat die Föderalismusreform inzwischen allen Bundesländern die Möglichkeit eröffnet, eigene Landesversammlungsgesetze zu erlassen, sodass die Ausübung eines elementaren Menschenrechts absurderweise von den jeweiligen Mehrheiten in einer Landesregierung abhängt. Die weitgehende Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch das bayrische Landesversammlungsgesetz, deren erstes Opfer im Übrigen ein ver.di- Gewerkschaftssekretär war, wurde zwar nicht zuletzt aufgrund des großen gesellschaftlichen Widerstands vom Bundesverfassungsgericht in einem Eilverfahren vorläufig in weiten Teilen gekippt. Das Beispiel hat jedoch gezeigt, dass zukünftig immer mit elementaren Eingriffen in die Versammlungsfreiheit zu rechnen sein wird. Auch in Baden-Württemberg war bereits ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht worden, das darüber hinaus bereits im Vorgriff von etlichen Versammlungsbehörden angewandt wurde.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zur Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe unter anderem in seiner „Brokdorf-Entscheidung“ wie folgt ausgeführt: „Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben. Schon in diesem Sinne gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers. In ihrer Geltung für politische Veranstaltungen verkörpert die Freiheitsgarantie aber zugleich eine Grundentscheidung, die in ihrer Bedeutung über den Schutz gegen staatliche Eingriffe in die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung hinausreicht. (vgl. BVerfGE 69, 315 – Brokdorf-Beschluss vom 14. Mai 1985).“

„In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (…) wird auch die Meinungsfreiheit seit Langem zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gezählt. Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist; denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform (vgl. BVerfGE 7, 198 [208]; 12, 113 [125]; 20, 56 [97]; 42, 163 [169]). Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden, kann für sie nichts grundsätzlich anderes gelten. Dem steht nicht entgegen, dass speziell bei Demonstrationen das argumentative Moment zurücktritt, welches die Ausübung der Meinungsfreiheit in der Regel kennzeichnet. Indem der Demonst rant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise.“ (…)

(…) „An diesem Prozess sind die Bürger in unterschiedlichem Maße beteiligt. Große Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien können beträchtliche Einflüsse ausüben, während sich der Staatsbürger eher als ohnmächtig erlebt. In einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt sind, verbleibt dem Einzelnen neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im Allgemeinen nur eine kollektive Einflussnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen.“

„Nach alledem werden auch in der Literatur Versammlungen zutreffend als wesentliches Element demokratischer Offenheit bezeichnet: „Sie bieten … die Möglichkeit zur öffentlichen Einflussnahme auf den politischen Prozess, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest …; sie enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“. So zitiert das Bundesverfassungsgericht in seiner oben zitierten Brokdorf-Entscheidung Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 14. Auflage, 1984, S. 157, und führt weiter aus: „Namentlich in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten hat die Versammlungsfreiheit die Bedeutung eines grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes.“

(…)“In einer Demokratie müsse die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt verlaufen; das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußere sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflussnahme auf den ständigen Prozess der politischen Meinungsbildung, die sich in einem demokratischen Staatswesen frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich „staatsfrei“ vollziehen müsse. BVerfGE 20,56 [98 f.]“

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts schützt Art. 8 Grundgesetz Versammlungen und Aufzüge – im Unterschied zu bloßen Ansammlungen oder Volksbelustigungen – als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. In einer Entscheidung vom 7. 3. 2011 zu Sitzblockaden ( 1 BvR 388/05) hat das Bundesverfassungsgericht wie folgt ausgeführt: „Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 [342 f.]; 87, 399 [406]). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206 [248]; 87, 399 [406]; 104, 92 [103 f.]). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl.BVerfGE 69, 315 [345]).“

Versammlungsrecht geht allgemeinem Polizeirecht vor

Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind, solange die Teilnehmenden unter dem Schutz des Versammlungsrechts stehen, nach geltendem Recht grundsätzlich nicht nach allgemeinem Polizeirecht, sondern nur auf Grundlage des Versammlungsgesetzes möglich.

Auch auf dem Weg zu einer Versammlung steht der Teilnehmende unter dem Schutz des Versammlungsrechts.

Dazu hat das VG Sigmaringen in seiner Entscheidung zur Rechtswidrigkeit des Polizeikessels gegen AntifaschistInnen am 1. Mai 2009 in Ulm ausgeführt, das Maßnahmen gegenüber Teilnehmern einer Versammlung aufgrund des allgemeinen Polizeirechts erst zulässig sind, wen n die Versammlung aufgelöst oder der betroffene Teilnehmer von der Versammlung ausgeschlossen wurde:

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. 4. 2007 – 1 BvR 1090/06 sind Maßnahmen, die die Teilnahme an einer Versammlung beenden – wie ein Platzverweis oder eine Gewahrsamnahme – rechtswidrig, solange die Versammlung nicht gem. § 15 Abs. 3 VersammlG aufgelöst oder der Teilnehmer auf versammlungsrechtlicher Grundlage von der Versammlung ausgeschlossen wurde (a.a.O. Randnummer 40). Art. 8 Grundgesetz gebiete diese für den Schutz des Grundrechtsträgers wesentlichen Förmlichkeiten. Denn es handele sich um Anforderungen der Erkennbarkeit und damit der Rechtssicherheit, deren Beachtung für die Möglichkeit einer Nutzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit wesentlich sei.

In Versammlungen entstünden häufig Situationen rechtlicher und tatsächlicher Unklarheit. Versammlungsteilnehmer müssten wissen, wann der Schutz der Versammlungsfreiheit ende, denn Unsicherheiten könnten sie einschüchtern und von der Ausübung des Grundrechts abhalten. Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Versammlungen richteten sich nach dem Versammlungsgesetz. Dieses Gesetz gehe in seinem Anwendungsbereich als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor. Eine auf allgemeines Polizeirecht gegründete Maßnahme, durch welche das Recht zur Teilnahme an der Versammlung beschränkt werde, scheide aufgrund der Sperrwirkung der versammlungsrechtlichen Regelungen aus.“ (VG Sigmaringen, Urteil vom 29. November 2010, Az. 1 K 3643/09).

Vielfältige Eingriffe in der Praxis der Polizei

Soweit die Theorie … In der Praxis gab es in den letzten Jahren zunehmend vielfältige Eingriffe in die Versammlungsfreiheit, unter anderem durch massenhafte Gewahrsamnahme in Polizeikesseln gegenüber Hunderten von Personen über viele Stunden hinweg. Obwohl in vielen dieser Fälle wie in dem des Polizeikessels am 1. Mai 2009 in Ulm Jahre später die Rechtswidrigkeit des Kessels festgestellt wurde und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu eindeutig ist, bleibt die Einkesselung Hunderter von VersammlungsteilnehmerInnen beliebtes Mittel der polizeilichen Taktik.

Dazu einige Beispiele:

a) Am 1. Mai 2009 riefen der Deutsche Gewerkschaftsbund und ein breites gesellschaftliches Aktionsbündnis „Ulm gegen rechts“ zu einer überregionalen antifaschistischen Versammlung auf, an der mehr als 10 000 Menschen teilnahmen. Anlass war eine geplante, in ganz Süddeutschland mobilisierte, überregionale Versammlung von Nazis und Neonazis, darunter die Autonomen Nationalisten, die ausgerechnet am 1. Mai parallel zu den Versammlungen der Gewerkschaften demonstrieren wollten, eine gezielte Provokation. Wenige Wochen zuvor hatten Nazis bereits großflächig die Fassade des DGB-Hauses in Ulm beschmiert.

Zur Erinnerung: Nachdem die Nazis den 1. Mai 1933 umfunktioniert hatten, wurden die Gewerkschaften am 2. Mai 1933 direkt nach dem 1. Mai verboten. Am 2. Mai besetzen SA-Männer das Gewerkschaftshaus am Weinhof, auf dem Dach der Wirtschaft zum Mohren hissten sie die Hakenkreuzfahne.

Ende April 1933 verfügt Wilhelm Dreher, staatlicher Polizeikommissar für Ulm und Oberschwaben, ein Verbot von Jazzmusik in Ulm mit der Begründung, „Niggermusik“ sei ein öffentliches Ärgernis und könne deshalb nicht geduldet werden. Jazz verhunze und verschandle deutsches Fühlen und Empfinden.

Mitte März 1933 tauchen Zeitungsberichte im „Ulmer Tagblatt“ und im „ Ulmer Sturm“ über Verhaftungen von NS-Gegnern auf – jeweils versehen mit dem Hinweis, dass die betreffenden Personen ins „Konzentrationslager Heuberg“ überstellt werden. Mitte April 1933 sind 1950 Menschen, meist KPD- und SPD-Funktionäre, auf dem Heuberg inhaftiert, unter ihnen Wilhelm Wirthle, Leonhard Gerlinger und rund 60 weitere Ulmer, schreibt Kienle in dem Beitrag „Häftlinge aus der Region Ulm in den frühen KZ Heuberg und Kuhberg “. Viele Häftlinge werden schwer misshandelt, jüdische Geschäftsinhaber werden terrorisiert, bereits im April 1933 hetzen die Ulmer Nazis gegen die polnischen Juden: Wegen Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit werden ihre Geschäfte geschlossen. (Die Informationen stammen aus einer Artikelserie in der Ulmer Lokalpresse und wurden vom Bündnis Ulm gegen rechts verbreitet.)

Aus diesen Gründen wurde auch in den Gewerkschaften überregional zur Teilnahme an der antifaschistischen gewerkschaftlichen Versammlung gegen das Auftreten der Neonazis am 1. Mai 2009 in Ulm aufgerufen.

Auch drei Reisebusse mit AntifaschistInnen aus dem Badischen, darunter viele GewerkschafterInnen, folgten dem Aufruf. Die Insassen der drei Busse, die an der antifaschistischen gewerkschaftlichen 1.Mai-Demonstration teilnehmen wollten, verließen ihre Busse aus parkplatztechnischen Gründen circa 500 bis 1000 Meter von der gewerkschaftlichen Auftaktkundgebung entfernt und gingen gemeinsam auf direktem Wege Richtung Sammlungsplatz Weinhof. Kurz vor dem Sammlungsplatz in der Sattlergasse wurden sie von einer Polizeieinheit ohne jeden erkennbaren Anlass gestoppt und am Zugang zur Gewerkschaftsversammlung gehindert. Kurz darauf wurde hinter der Gruppe eine zweite Polizeikette gezogen, sodass die Gruppe in einem Polizeikessel war, in dem sie etwa fünf bis sechs Stunden zubringen musste. Versammlungsteilnehmende der Auftaktkundgebung, die sich mit den Eingekesselten solidarisierten und deren Teilnahme an der 1.Mai-Demonstration forderten, wurden ebenfalls mit eingekesselt. Alle im Kessel wurden erkennungsdienstlich behandelt und ihre Daten gespeichert. Angeblich wollten sich die 150 Ortsunkundigen nach angeblichen „polizeilichen Erkenntnissen“ als „Schwarzer Block“ an die Spitze der Gewerkschaftsdemonstration mit 10 000 Personen stellen … Ein Kommentar dazu erübrigt sich.

In der Folge wurden etliche der Eingekesselten mit Strafbefehlen überzogen, gegen die sich jedoch viele nicht zur Wehr setzten, da sie die Prozess- und Anwaltskosten scheuten und sich ja dazu noch extra Urlaub für das Strafverfahren in Ulm hätten nehmen müssen. Dabei hatten sie eigentlich nur den Appell des damaligen Bundespräsidenten Köhler in den Medien befolgt, man solle gegen Intoleranz und rassistische Überfälle von Neonazis „Flagge“ zeigen; so etwas wie die Zeit des „Dritten Reiches“ dürfte sich nie wiederholen.

Da nützte es ihnen auch nichts, dass das VG Sigmaringen die Rechtswidrigkeit des Polizeikessels eineinhalb bzw. zwei Jahre später in zwei Entscheidungen feststellte.

b) Am 1. Mai 2011 riefen das „Heilbronner Bündnis gegen rechts“ unter Federführung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und andere antifaschistische Organisationen überregional zum Protest gegen eine überregionale Versammlung von Nazis und Neonazis am 1. Mai in Heilbronn auf, für die diese in ganz Süddeutschland mobilisiert hatten. Schwerpunkt der traditionellen Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds zum 1. Mai, dem Internationalen Tag der Arbeit, in Heilbronn war es also, Flagge zu zeigen gegen den geplanten Aufmarsch von Nazis. Die Gewerkschaften nehmen das Auftreten von Nazis und Neonazis am 1. Mai besonders ernst, da einen Tag nach dem 1. Mai 1933 in Deutschland die Gewerkschaften verboten, die Gewerkschaftshäuser von den Nazis besetzt und viele GewerkschafterInnen verhaftet, in Konzentrationslager gesperrt und ermordet worden waren.

Aus diesem Grunde entschlossen sich viele GewerkschafterInnen, den DGB Heilbronn bei seiner Maikundgebung und seinem Protest gegen das Auftreten der Nazis am 1. Mai zu unterstützen. Für den Nachmittag war eine weitere antifaschistische Demonstration geplant, die jedoch erst in einem Eilverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof hatte durchgesetzt werden müssen.

Für 400 bis 500 der von außerhalb mit der Bahn angereisten AntifaschistInnen endete die geplante Teilnahme an der Versammlung jedoch auf dem Heilbronner Bahnhofsvorplatz, auf dem sie bis zu elf Stunden(!) im Polizeikessel zubringen mussten. Auch eine Teilnahme an der gewerkschaftlichen 1.- Mai-Veranstaltung war nicht möglich. Die Betroffenen, darunter auch etliche ältere GewerkschafterInnen, mussten Stunden im Polizeigewahrsam im Stehen verbringen, ohne Sonnenschutz, ohne Möglichkeit, eine Toilette zu benutzen, und in ihrem elementaren Recht auf Versammlungsfreiheit rechtswidrig beschnitten. (Siehe auch den vorherigen Beitrag von Lothar Letsche: „Elf Stunden im Polizeikessel von Heilbronn“.)

Erst nach massiven Protesten wurde es einigen wenigen gestattet, die Toilette im Bahnhof aufzusuchen. Dabei wurden die „Glücklichen“ aus dem Polizeikessel, denen es gestattet wurde, auf die Toilette zu gehen, jeweils zu zweit oder dritt von mehreren Beamten bis zur Toilettentüre im Bahnhof begleitet, und anschließend vor der Toilettentüre wieder in Gewahrsam genommen und zurück in den Polizeigewahrsam vor dem Bahnhof gebracht so wie man es üblicherweise vom Umgang mit Strafgefangenen kennt. Sie durften sich auch nicht zum Bahnsteig begeben, um etwa die Stadt Heilbronn zu verlassen, sondern mussten zurück in den Polizeikessel auf dem Bahnhofvorplatz.

Da die Gewahrsamnahme mehrere Stunden dauerte und da ein Toilettenbesuch nur wenigen möglich war, nachdem er ja nur jeweils zwei bis maximal drei Personen unter Polizeibewachung erlaubt wurde, mussten sich Versammlungsteilnehmende in unwürdiger Weise auf dem Bahnhofsvorplatz hinter dem vorgehaltenen DGB-Transparent unter dem Feixen der Polizeibeamten erleichtern.

Verwaltungsgericht Stuttgart weist Klagen ab


Im Anschluss versuchten unter anderem zwei ältere Gewerkschaftsmitglieder, die achteinhalb beziehungsweise elf Stunden im Polizeikessel vor dem Heilbronner Bahnhof unter den darüber hinaus unzumutbaren Bedingungen zubringen mussten, und die auch nicht an der 1. Mai- Versammlung des DGB teilnehmen konnten, die Rechtswidrigkeit des Polizeikessels gerichtlich feststellen zu lassen.

Skandalöserweise wurde die Klage der Gewerkschafter jedoch vom Verwaltungsgericht Stuttgart abgewiesen. Obwohl die Rechtswidrigkeit des Polizeikessels vor dem Heilbronner Bahnhof klar auf der Hand lag, machte sich das Verwaltungsgericht die Argumentation der Vertreterin des Regierungspräsidiums, die das beklagte Land Baden-Württemberg vertrat, zu eigen, wonach es sich um gar keinen Polizeikessel gehandelt hätte(!). Ein Polizeigewahrsam sei ja erst am späten Nachmittag ab 16.11 Uhr verhängt worden, da die Teilnehmenden nicht den Bahnhofsvorplatz verlassen hätten, für den eine Allgemeinverfügung am 1. Mai ein Versammlungsverbot verfügt habe.

Dabei ließ das Verwaltungsgericht völlig außer Acht, dass sogar nach den im Prozess vom beklagten Regierungspräsidium vorgelegten Polizeidurchsagen ein Verlassen des Bahnhofsvorplatzes von zumindest 11.31 Uhr bis 13.18 Uhr nicht möglich war. Einer der gewerkschaftlichen Kläger war kurz zuvor mit dem Zug im Bahnhof angekommen und konnte somit erstmals in seinem Leben nicht wie geplant an der Gewerkschaftskundgebung zum 1. Mai teilnehmen, die vom DGB in der Zeit von 10.30 Uhr bis 13:00 Uhr angemeldet worden war.

Der Kläger wurde somit durch den Polizeigewahrsam selbst nach dem Vortrag der Beklagtenvertreterin ohne jeden Anlass und deshalb rechtswidrig auch daran gehindert, an der Gewerkschaftsversammlung teilzunehmen; denn nach dem Vortrag der Beklagten war die Versammlung zu dem Zeitpunkt, zu dem er erstmals die Möglichkeit gehabt hätte, den Polizeigewahrsam vor dem Bahnhof zu verlassen, bereits vorbei.

Selbst wenn es möglich gewesen wäre, den Polizeikessel zu verlassen, wie das Verwaltungsgericht aufgrund der Angaben des Regierungspräsidiums entgegen der Erfahrung der mehreren Hundert Eingekesselten unterstellte, gab es unstreitig bis um 18.07 Uhr allenfalls eine einzige(!) Durchlassstelle. Nach Auflösung der Versammlung um 18.07 Uhr dauerte es bis circa 20 Uhr, bis alle Personen den Bahnhofsvorplatz verlassen konnten. Allerdings mussten nach Darstellung der Beklagten dann um 18.07 Uhr mehrere Durchlassstellen gebildet werden, um überhaupt die angeordnete Durchsuchung aller VersammlungsteilnehmerInnen bewältigen zu können. Daraus ergibt sich, dass die Durchsuchung der 450 bis 500 Personen bei nur einer Durchlassstelle sowieso mehrere Stunden in Anspruch genommen hätte. Demnach war auch nach der Version des Regierungspräsidiums die Teilnahme an der 1.Mai-Versammlung des DGB in Folge des Polizeikessels tatsächlich gar nicht möglich gewesen. Das polizeiliche Vorgehen war also auch nach diesem Vorbringen rechtswidrig, da Vorkontrollen bei Versammlungen so gestaltet werden müssen, dass dadurch die Teilnahme an der Versammlung nicht vereitelt wird.

Sämtliche Kommentare zum Versammlungsrecht weisen darauf hin, dass „wirksame Vorkontrollen friedliche Teilnehmende nicht übermäßig belasten dürfen, etwa so, dass durch eine erhebliche Zeitverzögerung ein zeitgerechtes Aufsuchen des Veranstaltungsortes nicht möglich ist“ (so auch die Kommentierungen aus den Reihen der Polizei wie zum Beispiel Brenneisen/Wilksen: „Versammlungsrecht“, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, 4. Aufl. 2011; oder Polizeidirektor a. D. Roos/Kriminaldirektor Bula in „Das Versammlungsrecht in der praktischen Anwendung“, 2. Auflage).

Das Verwaltungsgericht hätte somit, selbst wenn es das von den eingekesselten Klägern bestrittene Vorbringen des Regierungspräsidiums seiner Entscheidung zugrunde legen wolltet, zumindest von einem zeitweiligen Polizeikessel ausgehen und dessen Rechtswidrigkeit feststellen müssen.

Die Freiheitsentziehung des Klägers im Polizeikessel vor dem Heilbronner Hauptbahnhof war deshalb schon allein deshalb rechtswidrig, als der Kläger unter dem Schutz des Versammlungsrechts stand, da er sich auf dem Weg zu einer rechtmäßigen Versammlung befand und an der Teilnahme gehindert wurde.

Bezeichnenderweise hieß es in der Klageerwiderung des beklagten Regierungspräsidiums, der Aufzug des „Heilbronner Bündnisses gegen rechts“ unter Federführung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sei in der Zeit zwischen 10:30 und 13:00 Uhr „genehmigt“ und der Aufzug der weiteren antifaschistischen Versammlung in der Zeit zwischen 14:00 und 16:30 Uhr „genehmigt“ worden .

Dies verrät viel über das Verständnis der beteiligten Behörden vom elementaren Recht auf Versammlungsfreiheit als kollektive Meinungsfreiheit, wobei gerade die Behörden immer wieder gerne davon sprechen, dass wir in einer „lebendigen Demokratie“ leben würden. Denn hier verkennt das Regierungspräsidium offensichtlich, dass Versammlungen weder erlaubnis- noch genehmigungspflichtig, sondern allenfalls anmeldepflichtig sind, sofern sie nicht spontan erfolgen.

Es wäre also in der Tat geboten gewesen, dass das Gericht auch die rechtswidrige Entscheidungspraxis der Stadt Heilbronn als Versammlungsbehörde unter die Lupe genommen hätte. Dies umso mehr, als erst ein halbes Jahr vorher, am 6. Dezember 2010, circa 100 KurdInnen bei einer Versammlung mehrere Stunden lang rechtswidrig in Gewahrsam genommen worden waren, nachdem während einer Demonstration, die völlig friedlich verlief, eine(!) Person einen
kleinen Böller geworfen hatte.

c.) Am 5. 10. 2011 wurden circa 100 TeilnehmerInnen einer spontanen antifaschistischen Solidaritäts- und Protestdemonstration von der Polizei eingekesselt, die sich mit einem am 1. Oktober 2011 von einem Offenburger Nazikader schwer verletzten Antifaschisten solidarisierten. Nachdem die Versammlung von Anfang an von den Polizeikräften durch enges Polizeispalier als „Wanderkessel“ ausgestaltet worden war, wurden das Anzünden eines Bengalos und ein kleiner Silvesterböller zum Anlass genommen , 100 teilnehmende AntifaschistInnen erkennungsdienstlich zu behandeln.

Die drei aufgeführten Polizeikessel sind nur Beispiele für eine Vielzahl von Polizeikesseln, mit denen in den letzten Jahren die Versammlungsfreiheit rechtswidrig eingeschränkt wurde.

Zu den prominenten Beispielen für mehrstündige rechtswidrige Polizeikessel gehört auch der Polizeigewahrsam bei der geplanten Blockupy-Demonstration am 1. 6. 2013 in Frankfurt. Ihre Durchführung wurde durch die willkürliche Einkesselung durch über 1000 Personen rechtswidrig vereitelt. Beim Polizeikessel gegen über 4000 DemonstrantInnen im Zusammenhang mit der internationalen Demonstration anlässlich des UN-Umweltgipfels COB in Kopenhagen mussten viele Betroffene mit Kabelbindern gefesselt bei niedrigen Temperaturen Stunden am Boden zubringen.

Dieser Polizeikessel wurde ebenfalls inzwischen von den Gerichten für rechtswidrig erklärt; den Betroffenen wurden Entschädigungen zugesprochen.

VGH Baden-Württemberg: Versammlungsbeschränkungen nur bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zulässig

Bei der rechtlichen Beurteilung der immer häufigeren Massengewahrsamnahmen in Polizeikesseln bei Versammlungen sollte immer zunächst Ausgangspunkt sein, dass gemäß Art 8 Abs. 1 GG das Recht besteht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

Gemäß Art 8 Abs. 2 GG darf in dieses elementare Recht bei Versammlungen unter freiem Himmel nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.

An einen Eingriff in ein elementares Grundrecht sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen, zumal Grundrechte nach einhelliger Ansicht auch Abwehrrechte der BürgerInnen gegen den Staat darstellen. Gemäß § 15 Abs.1 VersammlungsG kann die zuständige Versammlungsbehörde eine Versammlung nur dann von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei
Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Daran sind jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hohe Anforderungen zu stellen.

Dies betrifft alle die Versammlungsfreiheit einschränkenden Verfügungen, sei es in Form von einzelnen Auflagen oder in Form von Allgemeinverfügungen.

Es sollte somit noch einmal in Erinnerung gerufen werden, dass es bei dem Verfassungsgrundsatz bleibt, dass auch Versammlungen unter freiem Himmel grundsätzlich ohne Auflagen durchgeführt werden dürfen.

Selbst wenn es Einzelne oder einzelne Gruppen gäbe, die im Zusammenhang mit Versammlungen beispielsweise Aktionen propagieren würden, die nicht den Vorgaben des Art. 8 GG entsprächen, wäre dies nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zuletzt in seiner stattgebenden Eilentscheidung vom 6. 6. 2007 – BVerfG, 1 BvR 1423/07 anlässlich des Versammlungsverbots am G 8-Gipfel) nicht zulässig, deshalb eine Versammlung bzw.
Versammlungen insgesamt zu verbieten.

Das Bundesverfassungsgericht hat dabei ausgeführt: „Ist die behördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestützt (§ 15 VersG), erfordert die von der Behörde oder den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Im Rahmen der Folgenabwägung berücksichtigt das Gericht, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 – 1 BvQ 8/01.“ (…)

„Es bedeutet eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, wenn eine Versammlung verboten wird oder infolge von versammlungsbehördlichen Verfügungen und verwaltungsgerichtlichen Beschlüssen nur in einer Weise durchgeführt werden kann, die einem Verbot nahekommt, etwa indem sie ihren spezifischen Charakter so verändert, dass die Verwirklichung des besonderen kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert wird (vgl. BVerfGE 110, 77 [89]; vgl. zu weitreichenden räumlichen Beschränkungen auch BVerfGE 69, 315 [321, 323, 364 ff.] – Brokdorf).“

Nachdem der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg nunmehr in zwei Entscheidungen vom 30. 6. 2011 – Az. 1 S 2901/10 – und vom 2. 8. 2012 – Az. 1 S 618/12 – erfreulicherweise klargestellt hat, dass der Erlass von versammlungsbeschränkenden Verfügungen in jedem Falle eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung voraussetzt, könnten Versammlungen (jedenfalls soweit sich die Versammlungsbehörden an diese Vorgaben halten) in erheblich entspannterer Atmosphäre stattfinden. Die versammlungspolitische Unsitte, 30- bis 50-seitige Auflagenbescheide inklusive Erläuterungen zu erlassen, ist tatsächlich
deutlich zurückgegangen ist.

Positiver Nebeneffekt für alle Beteiligten: Die immer weiter angestiegene Anzahl von Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren in Zusammenhang mit Versammlungen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und die üblichen Begleitstraftaten, wie zum Beispiel Beleidigung oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, ist ebenfalls zurückgegangen. Oft wurden rechtswidrige Versammlungsauflagen in der Vergangenheit von einzelnen Polizeieinheiten dazu verwendet, damit weiter rechtswidrig in die Versammlungsfreiheit einzugreifen. Damit werden genau die Auseinandersetzungen provoziert, die angeblich durch die Auflagen verhindert werden sollten. Selbst wenn dann die Rechtswidrigkeit zwei bis drei Jahre später von einem Gericht festgestellt werden sollte, ist der Schaden dadurch natürlich schon irreversibel angerichtet.

So bildet beispielsweise eine Auflage, wonach ein Transparent nicht 3,40, sondern nur drei Meter breit sein darf, oder wonach Transparentstangen nicht 2,30, sondern nur zwei Meter hoch sein dürfen, entsprechend geneigten Einsatzkräften die willkommene Grundlage, ins Versammlungsgeschehen einzugreifen und das entsprechende Transparent zu beschlagnahmen, sei es im Vorfeld der Versammlung oder sogar während der Versammlung. Hierdurch wird nicht nur das Versammlungsrecht elementar und rechtswidrig beschränkt; vielmehr werden darüber hinaus Auseinandersetzungen zwischen VersammlungsteilnehmerInnen und Polizeikräften geradezu beflügelt.

Wenn durch Allgemeinverfügungen und beschränkende Auflagen inflationär und unzulässig in die Versammlungsfreiheit eingegriffen wird, führt dies vor allem auch zu einer Kriminalisierung von VersammlungsleiterInnen und OrdnerInnen , was ebenso wenig mit den oben ausgeführten Grundsätzen der Versammlungsfreiheit vereinbar ist.

Provozierte erkennungsdienstliche Behandlungen von AntifaschistInnen

Für die meisten der verhängten Polizeikesseln mit Gewahrsamnahmen von Hunderten VersammlungsteilnehmerInnen gibt es keinen wirklichen Anlass oder allenfalls nur geringfügige Anlässe (wie zum Beispiel das Zünden einzelner kleiner Silvesterkracher durch einzelne Versammlungsteilnehmer Innen oder auch vermeintliche unwesentliche Verstöße gegen – häufig rechtswidrige – Versammlungsauflagen).

Manchmal erscheinen im Übrigen solche Vorkommnisse gerade an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt „wie bestellt“… So drängte sich bei der polizeilichen Gewahrsamnahme von über 1000 Personen im Polizeikessel bei der Blockupy-Demonstration in Frankfurt am 1. Juni 2013 der Eindruck auf, dass die Eskalation bereits vorbereitet und geplant wurde, bevor die Demonstration überhaupt eine bestimmte Stelle erreicht hatte, wobei der Kessel dann genau an der Stelle gebildet wurde, an der die Demonstration in die entgegen der ursprünglichen Verfügung der Versammlungsbehörde vom Gericht bestätigte Route einschwenken wollte.

Verstöße einer Person oder einiger weniger dienen dann als Anlass oder besser Vorwand für die Auflösung von Versammlungen bzw. die Gewahrsamnahme und anschließende erkennungsdienstliche Behandlung von Hunderten von Versammlungsteilnehmer Innen. Es besteht der Verdacht, dass es sich hier – entgegen der in diesem Zusammenhang vorgeschobenen Begründungen der Polizeieinsatzleitungen – nicht um ein notwendiges „repressives“ polizeiliches Vorgehen handelt, sondern um eine unzulässige „präventive“ Strategie.

Von den 450 bis 500 am 1. Mai 2011 auf dem Bahnhofsvorplatz in Heilbronn in Gewahrsam genommenen Personen wurden an sogenannten „Videotoren“ Porträtaufnahmen gefertigt. Derartige erkennungsdienstliche Behandlungen von Versammlungsteilnehmer Innen dienen nichts anderem als dem Aufbau von umfangreichen polizeilichen Dateien über AntifaschistInnen und andere unliebsame DemonstrantInnen dienen.

Gemäß § 81b StPO dürfen andererseits Lichtbilder und Fingerabdrücke von Beschuldigten nur vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.

Die Feststellung der Identität der VersammlungsteilnehmerInnen auf dem Heilbronner Bahnhofsvorplatz am 1. Mai 2011 war demnach insgesamt rechtswidrig. Weder konnte sie mit repressiv- noch auch aus präventiv-polizeilichen Gründen gerechtfertigt werden, weil die Voraussetzungen dafür sämtlich nicht vorlagen. Aber auch eine Begründung nach strafprozessualen Normen kam nicht in Betracht, weil die Feststellung nicht zum Zwecke der Durchführung von Strafverfahren notwendig war. Dasselbe gilt für die Anfertigung von Lichtbildern, weil weder die Voraussetzungen nach PolG BW noch die des § 81b (2. Alt.) StPO vorlagen.

Es ist aber zu befürchten, dass im Zuge solcher rechtswidriger Polizeigewahrsam-Maßnahmen Hunderte von Teilnehmende „präventiv“ in Dateien erfasst und gespeichert werden, insbesondere bei antifaschistischen Versammlungen, wie zum Beispiel am 1. September 2009 in Ulm (wo das VG Sigmaringen den Polizeikessel in zwei Urteilen ausdrücklich für rechtswidrig erklärt hat), oder am 1. Mai 2011 in Heilbronn.

Erfassung in Polizeidateien zur Abschreckung?

Zu befürchten ist die langfristige Speicherung in polizeilichen oder geheimdienstlichen und sonstigen Dateien, die nicht nur der Polizei zugänglich sind. Die Folgen betreffen insbesondere auch Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und anderer Unternehmen, die Sicherheitsüberprüfungen ihrer Beschäftigten bzw. von Bewerbern vornehmen. Die international kritisierte Berufsverbotspraxis und ihre Folgen können dabei nicht unerwähnt bleiben.

Es handelt sich dabei auch nicht um eine aus der Luft gegriffene Spekulation. So konnte der Verfasser vor drei Jahren im Zuge eines Ermittlungsverfahrens gegen einen noch nie strafrechtlich in Erscheinung getretenen Mandanten – das Verfahren wurde im Übrigen nach § 170 Abs.2 StPO eingestellt – in den Akten die Feststellung lesen, dass der Beschuldigte bei polizeilichen Kontrollen 1996(!), 2002 und im Jahre 2003 polizeirelevant im Zusammenhang mit Aktionen der Anti-AKW- Bewegung aufgefallen sei. Wohlgemerkt: dieser Mandant ist in diesem Zusammenhang bis heute nie strafrechtlich oder wegen einer Ordnungswidrigkeit in Erscheinung getreten beziehungsweise gar belangt worden. Trotzdem werden über ihn Daten aus Polizeikontrollen aus dem Jahre 1996(!) offensichtlich nach 14(!) Jahren immer noch gespeichert und zur Begründung eines anfänglichen Tatverdachts, der sich nicht bestätigt hat, hinzugezogen. Diese Daten sind offensichtlich im Polizeilichen Auskunftssystem (POLAS) gespeichert.

Es liegt deshalb der Verdacht nahe, dass – wenn auch rechtswidrig – in Gewahrsam genommene und erkennungsdienstlich behandelte Versammlungsteilnehmer beispielsweise einer antifaschistischen Versammlung ebenso damit rechnen müssen, dass sie in einer polizeilichen Datei wie zum Beispiel POLAS gespeichert werden beziehungsweise gespeichert bleiben, sofern sie als Ordner oder Teilnehmende polizeilich erfasst wurden.

Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Dateien, auf die die Polizei Zugriff hat, wie zum Beispiel über „international agierende gewalttätige Störer“, „Gewalttäter links“, die unter anderem zur Begründung von Ausreiseverboten während des NATO-Gipfels in Strasburg hinzugezogen wurden. Wie sich bei der in der Regel erfolgreichen Überprüfung dieser Ausreiseverbote durch das zuständige Verwaltungsgericht bereits im Eilverfahren herausgestellt hat, reicht für die Aufnahme in eine solche Datei bereits der Kontakt oder das Sich-in-der-Nähe-Aufhalten oder Begleiten einer in so einer Liste befindlichen Person aus, um ebenfalls in dieser Liste zu landen. In der Datei „innere Sicherheit“ waren nach offiziellen Auskünften im Jahre 2009 1 571 914 Datensätze, das heißt 1,5 Millionen(!) Datensätze gespeichert. Als polizeilich registrierte Versammlungsteilnehmende einer antifaschistischen Versammlung müssten die Betroffenen zum Beispiel auch befürchten, bei zukünftigen internationalen Demonstrationen gegebenenfalls ebenso mit Ausreiseverboten belegt zu werden. Dazu kommen weitere Dateien der Landesämter und des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Bei internationalen Großereignissen, wie dem NATO-Gipfel, Weltwirtschaftsgipfeln, oder dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen, werden nationale Dateien auch den Behörden anderer EU-Staaten zugänglich gemacht.

Dies führt zu bürokratischer Gängelei und Kontrolle der Bürger und Bürgerinnen in einem Ausmaß, das – statt die Versammlungsfreiheit zu schützen – sie von der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit abschreckt und die Demokratie untergräbt. Bei jeder Versammlung muss dann jede/r aktive Teilnehmer/in damit rechnen, dass seine/ihre Teilnahme erfasst wird, ohne dass nachvollziehbare Gründe für eine solche Erfassung vorliegen.

„Der hierin liegende Nachteil erhält dadurch weiteres Gewicht, dass die erfassten Daten gespeichert werden (können). Eine solche anlasslose Datenbevorratung, die allein an die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit und damit an das Gebrauchmachen von einem für die demokratische Meinungsbildung elementaren Grundrecht anknüpft, ist rechtswidrig und führt zu durchgreifenden Nachteilen.“ So auch in ständiger Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht, zuletzt in seiner Eilentscheidung – 1 BvR 2492/08 – vom 17. 2. 2009.

Der hierin liegende Nachteil erhält dadurch weiteres Gewicht, dass die erfassten Daten gespeichert werden (können). „Eine solche anlasslose Datenbevorratung, die allein an die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit und damit an das Gebrauchmachen von einem für die demokratische Meinungsbildung elementaren Grundrecht anknüpft, ist rechtswidrig und führt zu durchgreifenden Nachteilen.“ So in ständiger Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht, zuletzt in seiner Eilentscheidung – 1 BvR 2492/08 – vom 17. 2. 2009.

Auch wenn die Daten der am 1. Mai 2011 in Heilbronn Eingekesselten nach Beendigung aller Ermittlungsverfahren in der speziell dafür eingerichteten Datei angeblich gelöscht werden, wie zum Beispiel die Vertreterin des Regierungspräsidium in jenem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart behauptet hat, bedeutet dies noch lange nicht, dass diese Daten nicht zuvor an andere polizeiliche und nachrichtendienstliche Dateien weitergeleitet und dort gespeichert wurden, wie die Erfahrung zeigt.

Versammlungsfreiheit lässt sich letztlich nicht verbieten – nirgendwo auf der Welt

Eingriffe in die Versammlungsfreiheit als kollektive Meinungsfreiheit sind uns nicht nur aus Deutschland, sondern aus vielen Ländern bekannt. Die Verteidigung der Versammlungsfreiheit und die entschiedene Zurückweisung aller Einschränkungen werden uns insofern auch zukünftig immer beschäftigen. Rechtsfragen und insbesondere das Recht auf Versammlungsfreiheit sind somit auch immer Machtfragen. Alle elementaren Menschenrechte wurden uns nicht geschenkt , sondern wurden hart für uns erkämpft. An uns ist es, sie täglich zu verteidigen und weiter auszubauen.

Weltweit gleichen sich die Bilder, ob in Athen, Istanbul, Moskau, Bangladesch, Frankfurt oder Rio de Janeiro. Nicht nur bei uns steht die Versammlungsfreiheit immer wieder auf dem Prüfstand, wenn die Menschen sie in Anspruch nehmen, um ihre Rechte zu erkämpfen und zu verteidigen.

Eine Erfahrung hat jedoch die Geschichte gezeigt: Versammlungsfreiheit lässt sich vielleicht einschränken, aber letztlich niemals verbieten – nirgendwo auf der Welt.

Wolfram Treiber, Jahrgang 1954, Rechtsanwalt in Karlsruhe, zuvor langjährige Tätigkeit beim DGB – Rechtsschutz

Mit freundlicher Genehmigung des Autoren, zuerst veröffentlicht in “Politische Justiz in unserem Land”, ISBN 978 -3-944137-35-3
Preis: 14,80 Euro Erschienen im Peter Grohmann Verlag

Quelle: kesselklage.de

Warum die Heilbronner Kesselklagen – was haben wir erreicht, wie geht es weiter?

Nach dem Polizeikessel vor dem Heilbronner Hauptbahnhof am 1.5.2011, der bis zu elf Stunden dauerte und mit „erkennungsdienstlicher Behandlung“ aller Eingekesselten endete, gab es zwei Gruppen von Betroffenen. Die einen bekamen Post und wurden irgendwelcher Delikte beschuldigt (z.B. „Widerstand gegen die Staatsgewalt“). Andere waren an diesem Tag einfach „nur so“ ihres Demonstrationsrechts und ihrer Freiheit beraubt und in vielen Fällen sogar am Aufsuchen der Toilette gehindert worden Zu dieser Gruppe gehörten überwiegend Angereiste von außerhalb Heilbronns. Wir fanden uns zusammen im „Arbeitskreis Kesselklage“, der sich regelmäßig in Stuttgart traf und um eine politische und juristische „Aufarbeitung“ bemühte. Beides sollte Hand in Hand gehen.


Das juristische Vorgehen war für die beiden Gruppen – „Beschuldigte“ und „Nicht-Beschuldigte“ – völlig unterschiedlich. Wer „beschuldigt“ war, konnte versuchen, entweder mit einem Bußgeld aus der Sache heraus zu kommen, eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen oder vor dem Amtsgericht Heilbronn einen Freispruch zu erwirken. Dabei müssen die Fristen, die in den Rechtsmittelbelehrungen genannt sind, unbedingt beachtet werden. In solchen Fällen waren Beweismittel und Zeugen für konkrete Vorfälle hilfreich, auf die sich die jeweils erhobenen Vorwürfe stützten.

Was aber konnten die „Nicht-Beschuldigten“ auf der rechtlichen Schiene tun? Der juristische Weg nennt sich „Fortsetzungsfeststellungsklage“. Zuständig waren in diesem Fall:das Verwaltungsgericht Stuttgart in 1. Instanz, der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Sitz in Mannheim, als 2. Instanz. Einzelne Betroffene konnten innerhalb eines Jahres (!) Klage erheben, dass ein bestimmtes staatliches Organ (in diesem Fall: die Polizei) ein bestimmtes Vorgehen nicht „fortsetzt“. Fünf Betroffene aus dem Raum Stuttgart und aus Karlsruhe taten das, vertreten durch zwei verschiedene Anwälte (aus Esslingen und Karlsruhe). Es waren Einzelklagen – eine sogenannte „Sammelklage“ gibt es hier nicht. Der „Eintrittspreis“ beträgt pro Person über 360 Euro Gerichtskosten, die im Voraus bezahlt werden müssen. Und Anwälte arbeiten natürlich nicht umsonst. Ihre Honorare richten sich nach einer Gebührenordnung, sie sich am „Streitwert“ bemisst, den das Gericht festsetzt.

Während in anderen Fällen (z.B. Ulm 2009) solche Klagen gegen Polizeikessel gewonnen wurden, gingen sie in diesem Fall verloren. Zwei der fünf Kläger gingen noch in die 2. Instanz und wurden auch dort abgewiesen. Ganz beendet ist das Verfahren allerdings noch nicht. Mit der „erkennungsdienstlichen Behandlung“ am Ende des Heilbronner Kessels wird sich noch das Heilbronner Amtsgericht befassen. Die „Erfassten“ haben sich nicht das Geringste zuschulden kommen lassen, aber trotzdem ist es überhaupt nicht sicher, dass – wie behauptet – ihre sämtlichen Daten gelöscht wurden und nicht doch noch jahrelang in polizeilichen und geheimdienstlichen Systemen gespeichert sind.

Der Karlsruher Rechtsanwalt Wolfram Treiber hat eine ausführliche juristische Einschätzung der Kesselklagen veröffentlicht: „Vom Polizeikessel in den Polizeicomputer“, in dem Buch von Jörg Lang (Hrsg.): Politische Justiz in unserem Land. Stuttgart: Peter Grohmann-Verlag 2013, ISBN 978-3-944137-35-3. Er arbeitet heraus, dass das Versammlungsrecht ein Grundrecht ist, das jedem „allgemeinen Polizeirecht“ vorgeht. Im Widerspruch zu anderen Urteilen und „skandalöserweise“, schreibt er, seien die Klagen in Stuttgart abgewiesen worden. „Obwohl die Rechtswidrigkeit des Heilbronner Kessels klar auf der Hand lag, machte sich das Verwaltungsgericht die Argumentation … zu eigen, wonach es sich um gar keinen Polizeikessel gehandelt habe (!)“. Wir möchten diesen Beitrag zur Lektüre empfehlen und Folgendes aus eigenem Erleben hinzufügen:

Die Planer des Heilbronner Polizeieinsatzes dachten offenbar nicht in solchen Kategorien wie „Grundrechte“ und „Verfassungsgebote“ (zum Beispiel zum Charakter des 1. Mai – wonach der Naziaufmarsch unbedingt hätte verboten und verhindert werden müssen). Gerichte leben auch in einer anderen Welt, denken anders und stellen andere Fragen als die Betroffenen eines Polizeikessels. Es ist sehr mühsam und bedarf sorgfältiger Vorbereitung und präziser anwaltlicher Beratung, wenn man erreichen will, dass wirklich diejenigen Fragen zur Entscheidung kommen, auf die es ankommt: ob das Vorgehen der Polizei rechtmäßig (an den Grundrechten und der Verfassung orientiert) und verhältnismäßig war. Nicht „Massenklagen“ und Zeugenaussagen sind sinnvoll, wo dann alle möglichen Sachverhalte vermischt und durcheinander geworfen werden, sondern eher ein exemplarischer Einzelfall, an dem sich das Unverhältnismäßige des Polizeieinsatzes präzise herausarbeiten lässt.

Die Juristen der Gegenseite haben große Übung darin, Gerichten eine Märchenwelt aufzutischen, die wenig mit dem zu tun hat, was die Betroffenen erlebten, und Nebelkerzen zu werfen. Aus detaillierten Beschreibungen, die wir liefern, suchen sie sich das heraus, was ihre Märchenwelt plausibel erscheinen lässt. Manche Gerichte greifen das bereitwillig auf. Tatsächlich haben die Gerichte in solchen Verfahren wie unserem einen großen Spielraum, um die Darstellung zu glauben und ihrem Urteil zugrunde zu legen, die sie glauben wollen. Rechtlich ist dem dann nur schwer oder gar nicht beizukommen..

Der von uns in und vor dem Bahnhof von Heilbronn erlebte 1. Mai 2011 wurde rechtlich in vier Etappen eingeteilt:

(a) Das Geschehen auf dem Bahnsteig – dafür, hieß es, sei die Bundespolizei zuständig gewesen, die wir aber nicht extra verklagt hatten ; das Verwaltungsgericht erklärte sich also für unzuständig für körperliche Angriffe der Polizei auf Angereiste, die fotografisch dokumentiert sind.
(b) Das Geschehen auf dem Bahnhofsvorplatz bis 16:11 Uhr – da hätten wir uns eigentlich „unrechtmäßig“ aufgehalten (und könnten froh sein, dafür nicht belangt zu werden), behauptete die Polizei hinterher.
(c) Der „Polizeigewahrsam“, in dem wir uns ab diesem Zeitpunkt befunden hätten – die sei, hieß es, von einem diensthabenden Amtsrichter nach Aktenlage angeordnet worden.
(d) Die „erkennungsdienstliche Behandlung“ am Schluss – diese habe „repressiven“ Charakter gehabt, also dazu gedient, „mögliche Straftaten aufzuklären“ – und wenn man dagegen juristisch vorgehen wolle, sei das Amtsgericht Heilbronn zuständig. Nur bei „präventiven“ Maßnahmen (zur „Gefahrenabwehr“) sei das Verwaltungsgericht zuständig. Diese etwas spitzfindig anmutende Unterscheidung aus dem Polizeirecht hatten wir nicht beachtet,

So jedenfalls – mit der Zuständigkeit der Bundespolizei für den Bahnbetrieb und mit behaupteten „möglichen“ Straftaten, die es in Wirklichkeit nicht gab – erklärte sich das von uns angerufene Verwaltungsgericht Stuttgart für die Etappen (a) und (d) für unzuständig. Wegen der angeblich „repressiven“ „erkennungsdienstlichen Behandlung“ läuft, wie gesagt, noch das Verfahren beim Amtsgericht Heilbronn.

Einem Kläger wurden Äußerungen, die er außerhalb des Gerichts gemacht hatte, im Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart in krasser Weise im Mund herumgedreht. In einem Fernsehinterview hatte er gesagt, es sei ein unmögliches Ansinnen, dass die Gegenseite in ihrem Schriftsatz geäußert hatte, die Gewerkschafter hätten sich ja einer Leibesvisitation unterziehen und dann zur DGB-Kundgebung gehen können. Das am 1. Mai! Daraus wurde konstruiert: er habe bestätigt, dass es so gewesen sei, wie die Polizei-Märchentante erzählte: nach Durchsuchung hätten alle den (angeblich gar nicht bestehenden) Kessel jederzeit verlassen können. Die Eingekesselten waren also nur aus eigenem Entschluss zu ihrem Vergnügen elf Stunden dort! Das Gericht spielte mit … Auf solche Winkelzüge muss man gefasst sein, bevor man überhaupt etwas sagt.

Die öffentliche Resonanz, die unsere Auseinandersetzung fand, haben wir auf dem Blog kesselklage.dokumentiert. Sie entsprach nicht der politischen Bedeutung, die das Verfahren hatte. Vor allem die Unterstützung aus den Gewerkschaften, deren ureigenste Anliegen am 1. Mai betroffen waren, blieb verhalten. Eine öffentliche Debatte mit deutlich vernehmbaren Stimmen gerade aus diesem Bereich wäre auch an dem Gericht nicht spurlos vorüber gegangen und hätte vielleicht zu einem anderen Ausgang geführt. Wie schaffen wir öffentlichen politischen Druck – darauf muss bei künftigen Verfahren verstärkt geachtet werden.

Nachteilig war ohne Zweifel die räumliche Trennung des AK Kesselklage und Gerichtsorts in Stuttgart vom Ort des Geschehens Heilbronn und den dortigen antifaschistischen und gewerkschaftlichen Bündnissen.

Nicht zuletzt ist alles auch eine Kostenfrage. Wer verliert, bezahlt das Verfahren. „Massenklagen“ verbieten sich in der Regel allein schon deshalb. Da unsere Heilbronner „Fortsetzungsfeststellungsklage“ aus dem gewerkschaftlichen Rechtsschutz herausfiel, sprang in diesem Fall für ihre Mitglieder die VVN-BdA ein (und machte dann einen Spendenaufruf). Die Rote Hilfe übernahm – obwohl sie solche Verfahren sonst nicht unterstützt – wegen der besonderen Bedeutung in diesem konkreten Fall für die drei anderen Kläger die Kosten der ersten Instanz. Hinzu kamen weitere Spenden. Allen Spenderinnen und Spendern sei noch einmal herzlich gedankt!


Rezension: Blockupy 2013. Der Frankfurter Polizeikessel am 1.Juni 2013

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Bericht der Demonstrationsbeobachtung vom 30.Mai bis 1.Juni 2013

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts des Komitees für Grundrechte und Demokratie hätte nicht besser gewählt werden können:
Fast zeitgleich erklärte das Frankfurter Verwaltungsgericht, die Einkesselung der Blockupy-Demonstranten sei „wohl gerechtfertigt“ gewesen. Das ist noch kein echtes Urteil, sondern nur das Ergebnis einer vorläufigen Prüfung zur Erfolgsaussicht der Klage. Aber man sieht, wohin die Reise geht.

Zur Erinnerung: Am 1.Juni 2013 unterdrückte die Polizei eine Demonstration der Blockupy-Bewegung in Frankfurt, indem sie nach einem vorgefassten Plan ca. 1000 Teilnehmer der Demo einkesselte und so die Demonstration sprengte: „Anweisung von oben: Eskalieren!“ (Originalton Polizei).
Die Demoroute entlang der Europäischen Zentralbank war vorher gegen die Versammlungsbehörde vor Gericht erstritten worden. Durch das Eingreifen der Polizei „muss der Eindruck einer Recht brechenden und Selbstjustiz schaffenden Exekutive entstehen.“ (
S.11)

Auf der Grundlage der Berichte des Demobeobachter-Teams des Komitees für Grundrechte und Demokratie befasst sich die Broschüre detailliert mit Vorgeschichte, Demo-Ablauf, den zentralen Merkmalen des Vorgehens der Ordnungskräfte und der Resonanz in den Medien.

Neben diesen aufschlussreichen Schilderungen des konkreten Ereignisses sind die Ausführungen der Autoren zu grundsätzlichen Aspekten der Versammlungsfreiheit für alle interessant, denen die Versammlungsfreiheit am Herzen liegt.

So wird der Gesetzesvorbehalt beim § 8 Versammlungsfreiheit kritisiert:
„Nach dem ersten Absatz von § 1 Versammlungsgesetz wuseln nur noch Verbote und noch einmal Verbote. Als eine Art Versammlungsverbotsgesetz ist das Versammlungsrecht durchgehend nicht grundrechtskonform.“ (S.79).

„Darum müsste das Versammlungsgesetz in seiner 1953er Grundform längst dem Brokdorf-Beschluss konform demokratisch angehoben werden.“ (S.86)
Die Autoren verhehlen aber auch nicht die Schwierigkeiten bei dem Versuch, ein fortschrittliches Versammlungsgesetz zu entwerfen: „Dabei wird allerdings meist deutlich, wie breit die Fallstricke ausgelegt sind und wie schwierig es ist, eine grundlegend andere Herangehensweise zu finden.“ (S.69)

„Würde ein Artikel 8 - „Jede Person hat das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen mit anderen zu versammeln und Versammlungen zu veranstalten“ - diese Recht nicht vielleicht besser schützen können als jedes Versammlungsgesetz, das nur wieder neue Grenzen zu ziehen versucht?“ (S.69/70)

Trotzdem werden einige Kernelemente eines fortschrittlichen Versammlungsgesetzes formuliert: „- Demonstrierende entscheiden selbst über den Ort ihrer Versammlung und die Ausdrucksformen. Vom Grundrecht generell oder aktuell ausgenommene Plätze kann es nicht geben. - In Versammlungen hat „der Staat“, repräsentiert durch die Polizei, nichts zu suchen – weder uniformiert, noch undercover und auch nicht mit Videogeräten.(...) - Die Demonstrierenden entscheiden selbst über Länge und Größe von Transparenten und auch über das Tempo ihrer Bewegung. - Die Bewegungsfreiheit wie auch die Meinungsfreiheit sind zu achten, wozu auch die Möglichkeit gehört, gesehen und gehört zu werden. Dies verbietet jede einschließende Begleitung, wie die wandernden Kessel genannt werden.“ (S.70).

Dem Fazit der Autoren ist nichts hinzu zu fügen: „Versammlungen können ein Stachel sein im herrschaftlich definierten und kontrollierten Alltag, sie können aufstacheln und politische Veränderungen einleiten. Dafür gilt es weiterhin zu streiten – auf der Straße und vor Gericht. Auf dass endlich den rechtswidrigen Eingriffen der Polizei Einhalt geboten werde!“ (S. 123)

Die Broschüre kann für sieben Euro bezogen werden unter der Adresse:
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Aquinostr. 7-11 50670 Köln
Telefon 0221 972 69 30 Fax 0221 972 69 31
info@grundrechtekomitee.de
www.grundrechtekomitee.de

Quelle: Wolfgang Hänisch


Pressemitteilung zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zu Montagsdemos gegen Stuttgart 21:

Anschlag auf Versammlungsfreiheit!

Am 16. und 23.12.2013 dürfen die Montagsdemos gegen Stuttgart 21 nicht auf dem Arnulf-Klett-Platz vor dem Hauptbahnhof stattfinden.

Begründung: Die Stadt Stuttgart „habe bei der gebotenen Abwägung in vertretbarer Weise den Interessen (…) der betroffenen Verkehrsteilnehmer den Vorrang gegenüber dem von der Versammlungsfreiheit geschützten Interesse (der S21- Gegner) (…) eingeräumt.“

Zu deutsch: Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit wird der Straßenverkehrsordnung, bzw. den „Interessen der Verkehrsteilnehmer“ geopfert.

Der juristische Trick: Die Sicherheit und Leichtigkeit (!) des Straßenverkehrs wird zum Bestandteil der Rechtsordnung „ernannt“ und damit zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit. Und wenn die „bedroht“ ist – siehe oben.

Mit dieser Begründung lässt sich jede Demonstration verbieten.

Diese Entscheidung des VGH ist von erheblicher politischer Brisanz:

Ist es doch derselbe Verwaltungsgerichtshof, der regelmäßig jeden Neonazi-Aufmarsch genehmigt, obwohl dafür ganze Innenstädte komplett abgeriegelt - der Verkehr also vollständig zum Erliegen kommt - und tausende Polizisten eingesetzt werden (Heilbronn, Göppingen etc.), um die Versammlungsfreiheit von ein paar dutzend Neonazis zu „schützen“.

Zum anderen hat derselbe Verwaltungsgerichtshof vor drei Jahren in gleicher Sache das gerade Gegenteil entschieden:

„Das Interesse des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, mit seiner Versammlung möglichst große Beachtung zu finden, überwiegt das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Verkehrsbeeinträchtigungen am Arnulf-Klett-Platz.“ (Entscheidung vom 29.10.2010, Az. 1 S 2493/10)

Dass die Argumentation von Ordnungsbürgermeister Schairer an den Haaren herbeigezogen ist, zeigt auch die wundersame Verlängerung der Verkehrsstaus: Vom 30.11.2013 („Auf dem Cityring bildet sich regelmäßig ein bis zu einem Kilometer langer Stau“, Schairer im StZ- Interview) bis zum 10.12.2013 hat sich die Staulänge - zumindest im Schriftsatz der Stadt Stuttgart - dann verfünf- bzw. verachtfacht.

Der grüne OB schweigt zu alledem.

„Offensichtlich handelt Schairer im Einvernehmen mit dem grünen OB Kuhn. Da ist die Ankündigung eines „bürgerfreundlichen“ Versammlungsgesetzes durch die grün-rote Landesregierung schon fast als Drohung zu verstehen,“ so Thomas Trüten, der Sprecher des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit. Und weiter: „Angesichts dieser Entwicklung sehen wir uns erneut in unserer Forderung nach einem fortschrittlichen Versammlungsgesetz bestätigt. Die Vorrangigkeit des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit vor nachgeordneten Vorschriften und Gesetzen muss politisch und juristisch durchgekämpft werden. Wir rufen deshalb die demokratische Öffentlichkeit auf - unabhängig vom jeweiligen Standpunkt zu Stuttgart 21 - am 16. und 23.12.2013 im Rahmen der Montagsdemos gegen diesen Anschlag auf die Versammlungsfreiheit zu demonstrieren.“

Download der Pressemitteilung im PDF Format


Radiointerview: Gegen Polizeikessel in Göppingen und anderswo – Nazidemos blockieren ist legitim

Über 40 Initiativen und Organisationen haben eine gemeinsame Erklärung gegen die Polizeikessel und Ingewahrsamnahmen am 12. Oktober in Göppingen veröffentlicht. In Göppingen waren 500 AntifaschistInnen bei den Protesten gegen einen Naziaufmarsch festgenommen worden. Über die Forderung nach juristischen und politischen Konsequenzen des Vorgehens der Göppinger Polizei, die Kennzeichnungspflicht, ein Versammlungsgesetz auf antifaschistischer Grundlage und eine Bewertung der Versammlungsfreiheit unter Grün/Rot gab ein Vertreter des Arbeitskreises Kesselklage gegenüber Radio Dreyeckland ein Interview.



Kessel gegen AntifaschistInnen: Politisches und juristisches Nachspiel für Göppinger Polizei

Stuttgart/Göppingen:
Unter dem Titel „Antifaschistischer Widerstand ist notwendig!“ haben über 40 Initiativen und Organisationen eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht. Inhaltlich sprechen sie sich gegen die Polizeikessel und Ingewahrsamnahmen am 12. Oktober in Göppingen aus. Medien berichteten von bis zu 500 festgenommenen Antifaschistinnen und Antifaschisten die gegen einen Naziaufmarsch demonstrierten. In der Erklärung heißt es hierzu: „Für uns ist es nicht hinnehmbar, dass AntifaschistInnen festgesetzt, eingeschüchtert und kriminalisiert werden!“

Neben antifaschistischen Gruppen gehören unter anderem auch die Esslinger IG Metall und die NaturFreunde Süd-Alb zu den Unterzeichnern der Erklärung. Die Initiative ging vom Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit aus, welche gemeinsam mit dem Arbeitskreis Kesselklage Betroffene, die gegen die Einsatztaktik der Polizei klagen möchten, unterstützt:

Antifaschistischer Widerstand ist notwendig!
Erklärung gegen die Polizeikessel und Ingewahrsamnahmen am 12. Oktober in Göppingen

Göppingen, 12.10.2013: Rund 1.500 Menschen gingen gegen einen Aufmarsch der sogenannten “Autonomen Nationalisten Göppingen” und der NPD auf die Straße. Über 2.000 PolizistInnen waren im Einsatz, um den Aufmarsch von gerade einmal 141 Nazis zu ermöglichen. Die Bündnisse “Kreis Göppingen Nazifrei” und “Nazis Stoppen” hatten zu Protesten aufgerufen. Letzteres hatte angekündigt, sich mit Menschenblockaden den Nazis entgegenstellen zu wollen.

Bereits mehrere Stunden vor dem geplanten Aufmarsch der Nazis hatte die Polizei die geplante Route weitläufig abgeschirmt, um einen Protest in Sichtweite der Nazis zu verhindern. AntifaschistInnen, die sich in Richtung der Aufmarschstrecke bewegten, wurden ausgebremst und gekesselt. Selbst Pressevertreter und Parlamentarier wurden in ihrer Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt.

Medien, wie beispielsweise die “Stuttgarter Nachrichten”, berichteten im Nachgang von bis zu 500 Ingewahrsamnahmen.

Während die Nazis marschierten, wurden die DemonstrantInnen in Garagen, engen Gefangenentransportern und in Freiluftkäfigen ihrer Freiheit beraubt. Nach teilweise über 7 Stunden Freiheitsentzug wurden sie dann mit einem Platzverweis für die komplette Göppinger Innenstadt entlassen.
Diese Einsatzstrategie ist kein Einzelfall. Überdimensionierte Polizeieinsätze und ein Festsetzen antifaschistischen Protestes gehören mittlerweile leider zum Standardrepertoire, um Naziaufmärsche zu ermöglichen.

Dass es auch anders geht, zeigen Beispiele in jüngster Vergangenheit aus Mannheim und Karlsruhe. Hier wurden Naziaufmärsche nach wenigen Metern abgebrochen, da ein gewaltsames Durchsetzen unverhältnismäßig gewesen wäre. Das wäre auch in Göppingen möglich gewesen, insbesondere dann, wenn wenige Tage vor dem Aufmarsch bekannte Antifaschisten mit Morddrohungen bedacht wurden.

Für uns ist es nicht hinnehmbar, dass AntifaschistInnen festgesetzt, eingeschüchtert und kriminalisiert werden!

Antifaschismus ist und bleibt notwendig!

Weder ausufernde Polizeigewalt noch juristische Schikanen können uns einschüchtern. Geeint unterstützen wir alle, die sich gegen eine solche Willkür einsetzen!

Wir fordern politische und juristische Konsequenzen aus den Ereignissen am 12. Oktober in Göppingen:

  • Für Versammlungsfreiheit und lebendigen Widerstand!
  • Für die Einstellung sämtlicher Verfahren gegen AntifaschistInnen in Zusammenhang mit den Protesten gegen den Naziaufmarsch vom 12. Oktober 2013!


Erstunterzeichner:
Unterstützende Organisationen

Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart
Antifaschistische Aktion Filder
Antifaschistische Gruppe Göppingen
Antifaschistische Jugend Rems-Murr
Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart und Region
Arbeitskreis Kesselklage
DIE LINKE. im Göppinger Gemeinderat
DIE LINKE. Kreisverband Göppingen & Geislingen
DIE LINKE. Kreisverband Stuttgart
DIE LINKE LV Baden-Württemberg
Deutsche Freidenker-Verband Ortsverband Stuttgart

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Ortsverband Fellbach
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Ortsverband Schorndorf
Die Versorger, Stuttgart
dju Baden-Württemberg (Deutsche Journalistinnen- und Journalisten Union in ver.di)
DKP Rems-Murr
DKP Stuttgart
Erwerbslosenauschuss ver.di Stuttgart
Esslinger Initiative gegen Stuttgart 21
Göppingen gegen Rechts
IG Metall Esslingen
IG Metall Jugend Esslingen
Initiative „Rems-Murr nazifrei“
Interkulturelles Forum Esslingen e.V.
Jungsozialisten (Jusos) Kreisverband Esslingen
Libertäre Antifa München (Lava Muc)
Linksjugend ['solid] Baden-Württemberg
Linksjugend ['solid] Ortenau
Mahnwache Gundremmingen
MLPD Landesleitung Baden-Württemberg
MLPD Stuttgart-Sindelfingen
„Murder Disco X“ (Hardcore Punk)
NaturFreunde Bezirk Süd-Alb
Bündnis NAZIS STOPPEN!
Organisation für den Aufbau einer Kommunistischen Arbeiterpartei /Arbeit Zukunft
Ortsfrauenausschuss IG Metall Esslingen
Piratenpartei Stuttgart
Rote Hilfe Stuttgart
Sanitätsgruppe E.M.A
ver.di Jugend Baden-Württemberg
Vertrauenskörper der IG Metall Festo Esslingen
VVN-BdA Kreisverband Esslingen
VVN-BdA Kreisverband Göppingen
VVN-BdA Landesvereinigung Baden-Württemberg e.V.
Weiler schaut hin! e.V.

Unterstützende Einzelpersonen (Funktionen dienen zur Kenntlichmachung)

Renate Angstmann-Koch, Betriebsratsvorsitzende Schwäbisches Tagblatt Tübingen, Mitglied im Landesvorstand der dju in ver.di
Britta Bamberg
Hubert Bauer, Sprecher der IG Metall-Vertrauensleute bei Festo Esslingen
Angela Berger

Alexander Besdetko, Leipheim
Simon Bolz
Niels Clasen, Stuttgart, Betriebsrat, IG Metall
Alfred Denzinger, Fotojournalist (dju / ver.di)
Joshua Dujmovits Diaz
Michael Dieter, Esslingen
Susanne Dorer, Gewerkschaftssekretärin ver.di Südbaden
Jochen Dürr, Landessprecher VVN-BdA Baden-Württemberg
Birgit Fahr
Wolfgang Hänisch, IG Metall Ludwigsburg
Heike Hänsel, MdB (DIE LINKE.)
Monika Heim, Betriebsrätin und Mitglied des Ortsvorstandes der IG Metall Esslingen
Caroline Herre, Stuttgart
Ralf Jaster, Tübingen Gewerkschaftssekretär
Günther Klein, Personalrat, VM, Vors. Waldheim Stuttgart e.V. Clara Zetkin Haus
Edwin Klösel, Krumbach
Janka Kluge, Landessprecherin VVN-BdA Baden-Württemberg
Hans-Peter Köhn, Potsdam
Christoph Küpferle
Heidi Lange, IG Metall Vertrauensfrau
Jessica Messinger
Thomas Mitsch Mitglied des BundessprecherInnen-Rates der Roten Reporter/
Pressesprecher ver.di Ortsverein Esslingen-Filder
Susanne Mvuyekure, Stuttgart
Ariane Raad, Gewerkschaftssekretärin ver.di Stuttgart
Andrea Schiele, Ulm
Kurt Schweizer, Offingen
Sandra Spang
Markus Spreitzer, ver.di Ortsvorstand Stuttgart
Ingrid von Staden
Julia von Staden
Bettina Stopka
Elsbeth Sureau, Solidarität International Stuttgart
Daniel Thébaud, Pfaffenhofen
Lydia Trüten, IG Metall Vertrauensfrau Esslingen
Thomas Trüten, IG Metall Vertrauensmann und Mitglied der Delegiertenkonferenz Esslingen
Gisela Vomhof-Hänisch, ver.di Stuttgart
Thomas Wolf, Jettingen-Scheppach
Mag Wompel, Redaktion LabourNet Germany

Weitere Unterzeichner, Stand 12. Dezember 2013
(bitte melden bei kontakt@versammlungsrecht.info)

Organisationen:

Antifaschistische Linke Bühl-Achern
Blockadegruppe der Parkschützer
MLPD Göppingen
RASH-Stuttgart
ver.di Bezirk Stuttgart
ver.di Bezirksvorstand Fils-Neckar-Alb

Young Struggle
Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften
Zusammen Kämpfen [Stuttgart]


Einzelpersonen:

Tom Adler, Stadtrat Stuttgart (Die Linke)
Andreas Anlauff
Werner Biggel, Tübingen
Susanne Bödecker, Stuttgart
Ralf Bogen, Stuttgart
Karl Braig, Calw
Gisela Gräber, Stuttgart
Doris Hensinger, Stuttgart
Christa Hourani, IGM, Vertrauenskörperleiterin, Betriebsrätin Daimler Zentrale
Peter Karcher, Betriebsrat, IGM Ludwigsburg
Dr. Klaus Kunkel, Stuttgart
Klaus Maier, Betriebsrat Schuler-Cartec
Gertrud Moll, Betriebsrätin IGM, Stuttgart
Fayme Nieschalk, Mühlacker
Jonas Pohle, Berlin
Peter Schimke, Kreisrat im Kreistag Ludwigsburg, Partei DIE LINKE
Gerhard Wick (VorOrt-Verlag und SÖS)
Anke Wollny, Stuttgart

Polizeirepression: Hunderte NazigegnerInnen in Gewahrsam!

Zum 12. Oktober 2013 mobilisierten wie im letzten Jahr sogenannte „Autonome Nationalisten“, JN und NPD bundesweit zu einem Aufmarsch in Göppingen, um ihre menschenverachtende Ideologie auf die Straße zu tragen.

Im Vorfeld erhielt der Bündnissprecher von „Kreis Göppingen Nazifrei“ eine rechte Morddrohung.

Das Verbot der Nazidemo durch die Stadt Göppingen wurde in zwei Instanzen gekippt.

Während auf der rechten Demonstration Personen aus dem direkten rechtsterroristischen NSU-Umfeld mitmarschieren durften, wurden zwei antifaschistische Kundgebungen kurzfristig verboten!

Die Polizei wartete mit 2000 Einsatzkräften, Hubschrauber, Hunde- und Pferdestaffeln sowie mehreren Wasserwerfern auf und sperrte das Stadtzentrum weiträumig ab.

So sollten ganz offensichtlich Gegenproteste in Sicht- und Hörweite der Rechtsradikalen unterbunden werden.

Entsprechend hart griff die Polizei durch. Die Demo-Sanitäter nannten 64 Patienten, davon 15 mit schweren Verletzungen.

JournalistInnen wurde der Zugang verwehrt oder sie wurden mit eingekesselt und mit Pfefferspray bedacht; der Landesvorsitzende der Grünen und Bundestagsabgeordnete Chris Kühn wurde trotz Abgeordnetenausweises in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

NazigegnerInnen wurden an drei Stellen eingekesselt, stundenlang festgehalten und mit dem Vorwurf sie hätten gewaltsam Polizeisperren zu überwinden versucht, nach Personenkontrolle und Abfilmen mit Polizeibussen zum Gewahrsam in die Polizeidirektion Göppingen gebracht. Ohne Telefonmöglichkeit, ohne Rechtsbeistand und ohne Verpflegung wurden so etwa 200 Menschen bis in die Abendstunden festgehalten - teilweise in einer Garage, teilweise in Käfigen im Freien.

Einsatzleiter sowie richterlicher Beschluss sind unbekannt Weder gab es vor der Einkesselung eine Aufforderung der Polizei den Platz zu verlassen noch wurde die Versammlung aufgelöst.

Dazu Bündnissprecher Thomas Trüten: „Immer wieder werden DemokratInnen und AntifaschistInnen an ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gehindert, in Sicht- und Hörweite rechter Aufmärsche zu protestieren. Menschen, die friedlich Nazirouten blockieren werden kriminalisiert. Das stundenlange Kesseln und Festhalten von Protestierenden unter unsäglichen Bedingungen und fragwürdigen rechtlichen Begründungen ist traurige Regelmäßigkeit geworden.“

Unser Bündnis vertritt: Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen!
Naziaufmärsche dürfen nicht unter dem Schutz des Versammlungsrechtes stattfinden.

Wir fordern ein fortschrittliches Versammlungsgesetz auf antifaschistischer Grundlage ohne schikanöse Behördenauflagen und Behinderungen durch Polizeikräfte!

Download der Pressemitteilung vom 14. Oktober 2013

Demonstrationsbericht zu den Protesten gegen die zentralen Einheitsfeierlichkeiten am 3. Oktober in Stuttgart

Am „Tag der deutschen Einheit“ fanden neben der zentralen Einheitsfeier auch verschiedene Proteste statt.

Die Antikapitalistische Demo gegen die "Deutschlandfeier" unter dem Motto "Ihre Einheit heißt Krise, Krieg und Armut!" wurde von mehr als 500 Teilnehmern erfolgreich und kämpferisch mit mehreren, auch spontanen Zwischenkundgebungen bis zum Abschluss um 17 Uhr durchgeführt.

Dabei musste sich die Demo gegen teils massive Polizeirepression durchsetzen, mit der die Demo offenbar gestoppt werden sollte (siehe Foto).



So wurde beispielsweise ein Polizeiübergriff auf die DemonstrationsteilnehmerInnen mit zwei zusammengeknoteten Seitentransparenten begründet. Dass dies im Auflagenbescheid der Versammlungsbehörde nicht vermerkt war, interessierte die Polizei genauso wenig, wie die Tatsache, dass die Verknotung umgehend von den TrägerInnen gelöst wurde. Das gewaltsame Vorgehen der Polizei wurde fortgesetzt. Der Entschlossenheit und Durchsetzungskraft der DemonstrantInnen ist es zu verdanken, dass die Polizei dabei nicht erfolgreich war.

Bereits am frühen Donnerstagmorgen fand in Stuttgart eine Hausdurchsuchung statt; später ging sie mit Personenfeststellungen beim Linken Zentrum Lilo Herrmann gegen Leute vor von denen vermutet wurde, dass sie am Nachmittag gegen die offiziellen Feierlichkeiten demonstrieren wollten. Offenbar wurde ihnen die Festnahme angekündigt, falls es sich bei Ihnen um "linke Straftäter" handele. Jeder müsse beim Verlassen des umstellten Hauses nun seine Personalien vorzeigen. Sei man nach Überprüfung kein "linker Straftäter", komme man mit einer "Gefährderansprache" davon.


Eine ver.di Sekretärin wurde den ganzen Tag in Unterbindungsgewahrsam genommen, weil laut Polizei angeblich davon auszugehen sei, „dass sie störende Handlungen plant“.

Die erst nach monatelangem Hin und Her weitab vom Feiergeschehen verordnete Demoroute führte letztlich dazu, dass die Masse der über 400.000 BesucherInnen der Einheitsfeierlichkeiten kaum etwas von dem Anliegen der DemonstrantInnen mitbekamen.

Während des ganzen Verlaufs war die antikapitalistische Demonstration umringt von Polizeikräften, die es Passanten fast unmöglich machte, mitgeführte Transparente zu erkennen und ihnen ein Bild von Gefährlichkeit der Demonstration vermittelte.

Auch diese Polizeiaktionen werten wir als Angriff auf die Versammlungsfreiheit. Ganz offensichtlich sollten unliebsame Proteste behindert und außer Sichtweite verbannt werden.

Des weiteren wurden ohne Gefahrenlage DemonstrantInnen gefilmt.

„Einmal mehr zeigt sich, wie weit es mit dem durch die grün-rote Landesregierung in Aussicht gestellten „bürgerfreundlichen“ Versammlungsgesetz her ist.“ So Thomas Trüten, Sprecher des Bündnisses für Versammlungsfreiheit. „Die Kritik des Bündnisses „Gegen die Einheitsfeierlichkeiten am 3. Oktober in Stuttgart“ müssen sich die Bundes- und Landesregierung gefallen lassen, die Ausrichter der Feierlichkeiten waren. Wir bleiben deshalb bei unserer Forderungen für ein fortschrittliches Versammlungsrecht auf antifaschistischer Grundlage:

• Kreative Aktionsformen wie Flashmobs, Sitzblockaden, Spontandemonstrationen müssen möglich sein.
• Protestkundgebungen gehören den Protestierenden.
• Abfotografieren / Filmen und Abhören von Protestteilnehmern durch Polizeibeamte ist zu unterlassen.
• Protest muss sicht- und hörbar sein.“

Download des Berichtes im PDF Format

Konferenz „Hinschauen. Aufstehen. Handeln“

Am Samstag den 31. August findet die Konferenz „Hinschauen. Aufstehen. Handeln“ zu Chancen, Grenzen und Perspektiven antifaschistischer Blockaden in Esslingen im KOMMA statt. Ab 17 Uhr gibt es die Möglichkeit, sich in Workshops über die Extremismustheorie auszutauschen oder zum Beispiel der Frage auf den Grund zu gehen, was Blockaden mit
zivilem Ungehorsam zu tun haben.

Ab 19 Uhr beginnt dann die Podiumsdiskussion mit der Vizepräsidentin des Thüringer Landtages Astrid Rothe-Beinlich, dem DGB Extremismusexperten Sandro Witt, dem Sprecher des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit Thomas Trüten sowie weiteren gesellschaftlichen Akteuren.

Umrahmt wird diese Konferenz von einer Ausstellung über antifaschistische Proteste und Blockaden der letzten Naziaufmärsche in der Region.

"Wir freuen uns auf eine spannende Konferenz und hoffen, einen Beitrag leisten zu können, den notwendigen antifaschistischen Protest in die Gesellschaft zu tragen", so Lara Wendel, eine Sprecherin des Vorbereitungskreises für die Blockadekonferenz.

Weitere Informationen

Weg mit der Residenzpflicht – uneingeschränktes Recht auf Versammlungsfreiheit auf antifaschistischer und demokratischer Grundlage für alle hier lebenden Menschen!

"Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." MigrantInnen und erst recht Flüchtlingen kann und wird dies oft genug verweigert. Bei Flüchtlingen wird das meist mit der sogenannten "Residenzpflicht" begründet, die einen von den zuständigen Behörden festgelegten Aufenthaltsbereich vorschreibt.

So geschehen bei den Blockupy Protesten in Frankfurt. Bei der Anreise zu den Protesten wurden mehrere Busse mit Flüchlingen angehalten und mussten umkehren. So wurde ihnen verweigert gegen eine der Ursachen ihrer Flucht zu protestieren.

Das war ein weiterer Grund für das Bündnis für Versammlungsfreiheit, am vergangenen Samstag den 8. Juni an der Demonstration für die Rechte der Refugees teilzunehmen und gemeinsam für das Versammlungsrecht der Flüchtlinge einzutreten.

An dieser landesweiten Demonstration nahmen unter anderem auch Flüchtlinge aus Halberstadt teil. Dort wurde auch gegen die Schikanen gegenüber der seit einigen Wochen stattfindenden „Refugee Liberation Tour“ in verschiedenen Städten in Baden-Württemberg durch die Polizei und Ämter protestiert.

Umso empörender ist für uns, dass eine Gruppe von 15 Flüchtlingen bei der Fahrt von Halberstadt zum Internationalen Tribunal der Flüchtlinge und Migrant_innen gegen die Bundesrepublik Deutschland nach Berlin in Magdeburg kontrolliert und wieder nach Halberstadt zurückgeschickt wurden.

Allen Flüchtlingen wurde der Ausweis abgenommen und eine Strafe auferlegt.
Die Weiterfahrt wurde ihnen aus zweifelhaften Gründen untersagt: Angeblich, weil zwei Kinder aus der Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge Halberstadt an Windpocken erkrankt seien, wurde eine „Quarantäne“ für alle Flüchtlinge aus Halberstadt ausgerufen.

Diese „Qurantäne“ sehen wir als einen willkürlichen Vorwand um Flüchtlinge aus Halberstadt an der Beteiligung an einem wichtigen, politischen Protest und damit der Ausübung ihrer demokratischen Menschenrechte zu hindern. Es gelang den Flüchtlingen erst nach mehreren weiteren, durch die Polizei vereitelten Versuchen gestern doch nach Berlin zu reisen. Auf dem Rückweg, als die Halberstadter Flüchtlinge zurückreisten, wurden erneut Ausweise kontrolliert, Fotos gemacht, Daten gespeichert.

Das Versammlungs“Recht“ in Deutschland ist zutiefst rassistisch. Wir fordern deshalb: Weg mit der Residenzpflicht – uneingeschränktes Recht auf Versammlungsfreiheit auf antifaschistischer und demokratischer Grundlage für alle hier lebenden Menschen!


Download der Solidaritätserklärung vom 15. Juni 2013

Solidarität mit Blockupy!

Zu den Polizeiangriffen auf die Blockupy Proteste erklärt das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit am 5. Juni 2013:

Tausende Menschen gingen am vergangenen Samstag gegen das Krisenregime der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds in Frankfurt auf die Straße.

Erneut wurden nach 2012 die antikapitalistischen Blockupy Proteste von Exzessen der Polizeigewalt und Schikanen gegen friedliche Demonstrationsteilnehmer überschattet.

Angeblich und laut eigener Darstellung sei die Polizei durch einige „Chaoten“ und „Randalierer“ gezwungen gewesen, diese Maßnahmen zur Herstellung von öffentlicher Ordnung, Gesetz und Sicherheit zu ergreifen.

Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Der Konsens der Blockupy Proteste „Von uns gehen keine Eskalationen aus“ wurde eingehalten.

Die Darstellung der Ereignisse durch die Polizei wurde von einer Reihe Medienberichte kolportiert, wodurch offenbar öffentlich der Eindruck entstehen sollte, die Eskalationen seien von den Demonstrantinnen ausgegangen und dass man sich an den Protesten gegen die EU Krisenpolitik besser nicht beteiligen soll.

Als Legitimation für diese Aktion diente ein angeblich vermummter und bewaffneter Schwarzer Block, den es jedoch nicht gab. Sonnenbrillen, Regenschirme, Schals und Transparente mussten der Polizei als Vermummungsgegenstände und Bewaffnungen herhalten.
Damit setzten sich die Verantwortlichen über eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt hinweg, das die Route des Blockupy-Bündnisses erlaubt hatte, und setzten somit das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit außer Kraft.

Es wirkt zynisch, wenn die Bundesregierung in Anbetracht der erst zwei Tage zuvor stattgefundenen Rechtsbrüche in Frankfurt am 3. Juni die Türkei wegen der Polizeiübergriffe auf Demonstranten im Gezi Park zur Besonnenheit mahnt und darauf hinweist, dass Meinungs- und Versammlungsfreiheit Grundrechte sind und der Staat verhältnismäßig reagieren müsse.

Angesichts der unübersehbaren Wirkungslosigkeit der europäischen Krisenpolitik ist das Außerkraftsetzen demokratischer Grundrechte offensichtlich zum Hauptinstrument gegenüber kapitalismuskritischen Protesten geworden. Krisenzeiten sind Zeiten des legitimen Protestes. Dieser muss gerade auch dann möglich sein und durchgesetzt werden, wenn es denen, gegen die protestiert wird, nicht passt. Berichte, nach denen bereits im Vorfeld seitens der Polizei derartige Übergriffe auf die Proteste geplant sein sollen, unterstreichen das nochmals.

Wir fordern von der hessischen Landesregierung, den Polizeieinsatz vom 1. Juni 2013 für unrechtmäßig und nicht verhältnismäßig zu erklären, auf dieser Basis die Opfer zu entschädigen und die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Download der Solidaritätserklärung (PDF)

Pressemitteilung zur Polizeigewalt gegen die Revolutionäre 1. Mai Demonstration in Stuttgart

Zum zehnten mal in Folge fand in Stuttgart am vergangenen
Mittwoch in Stuttgart eine Revolutionäre 1. Mai Demonstration statt. Die Route führte vom Schlossplatz zum Erwin-Schöttle-Platz im Stadtteil Heslach. Auf Höhe Marienplatz kam es zu einem massiven Polizeieinsatz gegen den Demonstrationszug.Sanitäter die auf der Demonstration im Einsatz waren, berichteten von bis zu 20 Verletzten. Mehrere Personen mussten zur Behandlung das Krankenhaus aufsuchen.

Der Sprecher des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit Thomas Trüten, der selber zusammen mit mehreren VertreterInnen des Bündnisses zur Beobachtung vor Ort war, berichtet:
"Bei diesem Angriff durch die Polizei war keine Zielsetzung zu erkennen. Vollkommen willkürlich wurde in die Menschenmenge geschlagen."

Politisch bewertet er das Geschehen:
"Trotz grün-roter Landesregierung und grünem Oberbürgermeister wird die Versammlungsfreiheit weiterhin massiv eingeschränkt. Dass immer wieder Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Demonstrationen durch die Polizei mit Tränengas und Knüppeln angegriffen werden ist für uns nicht hinnehmbar!"Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit fordert eine Aufklärung der Vorfälle.

Download der Pressemittelung im PDF Format


Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit und die Blockadegruppe gegen Stuttgart 21 hat eine gemeinsame Pressemitteilung veröffentlicht:

Stuttgarter Ordnungsamt mit Demonstrations - und Aufenthaltsverboten gegen S21-Protest - Grundrechte in Gefahr!

Das Stuttgarter Ordnungsamt stellt erneut sein gebrochenes Verhältnis zu den Grundrechten und deren Ausübung unter Beweis:

Nachdem das Amt regelmäßig antifaschistische Demonstrationen, die Montagsdemo gegen Hartz IV und andere mit rechtswidrigen, schikanösen und unsinnigen Auflagen in der Ausübung der Versammlungsfreiheit behinderte, verschärft es jetzt die Repression gegen S21-Gegner.

Gegen eine symbolische Aktion der Parkschützer (angemeldete Teilnehmerzahl: 30!) im Hauptbahnhof sprach das Ordnungsamt ein Versammlungsverbot aus.

Damit setzte es sich nicht nur über das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hinweg, sondern auch über ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar 2011 (1BvR 699/06), das ausdrücklich feststellt, dass Flughäfen, Bahnhöfe etc. öffentlicher Raum sind, in dem natürlich die Grundrechte gelten.

Gegen einzelne S21-Gegner, die an legalen Blockadeprotestaktionen teilgenommen haben sollen, wird mit dreimonatigem Aufenthaltsverbot für den Kurt-Georg-Kiesinger Platz und Zwangsgeldandrohung vorgegangen.

Die Rechte der Betroffenen auf Bewegungsfreiheit nach Artikel 2 GG und Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 GG werden dabei vom Ordnungsamt völlig ignoriert.

Thomas Trüten, Sprecher des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit zu dieser Entwicklung:
"Es ist erschreckend, mit welcher Kaltschnäuzigkeit sich das Ordnungsamt rechtswidrig über Grundrechte und Urteile des Bundesverfassungsgerichtes hinwegsetzt. Die Durchführung einer Eilversammlung vor dem Bahnhof - jetzt mit 200 Teilnehmern - durch die Parkschützer war darauf die richtige Antwort. Wir unterstützen auch die Absicht der Parkschützer, die Rechtswidrigkeit dieses Versammlungsverbotes gerichtlich feststellen zu lassen."

Diese weitere Zuspitzung der Kriminalisierung des Widerstandes wird von einem grünen Oberbürgermeister geduldet oder sogar aktiv unterstützt. Wir fordern von ihm als politisch Verantwortlichem eine sofortige Einstellung solcher illegalen Maßnahmen.

"Aufenthaltsverbote mit Zwangsgeldandrohung gegen einzelne S21-Gegner zeigen zudem die Aktualität der Forderung: "Sofortige Einstellung aller Verfahren gegen S21-Gegner/innen und Amnestie für die bisher Verurteilten !", ergänzt Ursel Beck, Sprecherin der Blockadegruppe.

"Was Amnestie-Überlegungen wie die von Ulrich Sckerl (Parlamentarischer Geschäftsführer der grünen Landtagsfraktion) anbetrifft, wenden wir uns gegen die Beschränkung auf den 30.9.2010 (Schwarzer Donnerstag) und lehnen den Versuch ab, prügelnde Polizisten und protestierende S21-Gegner in einen Topf werfen zu wollen.

Wir fordern vielmehr von der grün-roten Landesregierung, den Polizeieinsatz vom 30.9.2010 für unrechtmäßig und nicht verhältnismäßig zu erklären, auf dieser Basis die Opfer zu entschädigen und die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen."

Die Pressemitteilung als PDF Dokument


Soliadresse an das Berliner Bündnis für VersammlungsfreiheitDas Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit setzt sich für die Erweiterung des Versammlungsrechts ein und lehnt den in Berlin
vorgestellten Gesetzesentwurf zur Legalisierung von Übersichtsaufnahmen durch die Polizei entschieden ab.

Wir freuen uns, dass in Berlin dieser Gesetzesentwurf zur Gründung eines lokalen Bündnisses für Versammlungsfreiheit geführt hat.

Wir begrüßen diesen Schritt und wünschen dem Berliner Bündnis für Versammlungsfreiheit und allen beteiligten Organisationen und
Einzelpersonen viel Erfolg bei der Verteidigung der grundgesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit.

Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit wurde anlässlich einer 2008 geplanten Verschärfung des Versammlungsgesetzes in
Baden-Württemberg gegründet. Mehr als 100 Organisationen und Einzelpersonen aus verschiedensten politischen Spektren schlossen sich anlässlich angekündigter Einschränkungen der Versammlungsfreiheit zusammen.

Obwohl die damalige CDU Landesregierung, die dieses Gesetz verabschieden wollte, abgewählt wurde und daher bislang nach wie vor das Bundesversammlungsgesetz für dieses Bundesland gilt, werden im damaligen Gesetzesentwurf vorgesehene Verschärfungen auf anderem Wege, wie durch Auflagen des Ordnungsamtes praktisch dennoch angewendet.

Verstöße gegen das Versammlungsrecht auf Seiten der Demonstranten oder Demoanmelder werden akribisch verfolgt, während offener Rechtsbruch durch schikanöse Auflagen oder das Filmen durch die Polizei, was nahezu ständig geschieht, praktisch nie verfolgt werden.

Filmen von Demonstranten durch die Polizei war auch wiederholt Anlass zu Beanstandungen der Polizeipraxis durch unser Bündnis.

Eine Pressemitteilung hierzu, sowie der zugehörige Schriftwechsel sind unter
http://versammlungsrecht.info/neu/files/bdsvf12122012.pdf bzw.
http://www.versammlungsrecht.info/neu/files/versammlungsrecht_innenministerium.pdf
einsehbar.

Presseerklärung des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit zum Urteil gegen den Berliner Antifaschisten Tim H.

Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit erklärt sich solidarisch mit dem Berliner Antifaschisten Tim H.:

Er wurde am 16. Januar 2013 vom Amtsgericht Dresden zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, bei den Protesten gegen Europas größten Naziaufmarsch in Dresden im Februar 2011 dazu aufgerufen zu haben, Polizeiketten zu durchbrechen.

Mit dieser Polizeimaßnahme sollten tausende AntifaschistInnen davon abhalten werden, Europas größten Naziaufmarsch zu blockieren.

Die Polizei hatte damals die Dresdener Innenstadt faktisch zu einer demokratiefreien Zone machen wollen. Durch weiträumige Absperrungen sollte jeglicher Protest in Hör- und Sichtweite verhindert werden.

Amtsrichter Hans-Joachim Hlava verstieg sich in seiner Urteilsbegründung nicht nur zu der Aussage: „Irgendwann hat die Bevölkerung in Dresden es mal satt“. Mit der Aussage „Was andere getan haben, müssen Sie sich mit anrechnen lassen“ verdeutlichte er zugleich den abschreckenden Charakter des Urteils im Vorfeld der Antinazi Proteste am 13. Februar 2011.

Zudem werden einmal mehr antifaschistische und demokratische Proteste gleichgesetzt mit den verbrecherischen Naziaufmärschen, an denen sich in der Vergangenheit auch die Täter des NSU beteiligten.

Die Verurteilung basiert ohne Nachweis seiner Schuld allein auf einer vermeintlich ähnlichen Statur des Angeklagten mit einer Person in einem verpixelten Polizeivideo.

Obwohl alle anderen bisherigen Verfahren gegen Teilnehmer von Sitzblockaden gegen den Aufmarsch von NPD und „Kameradschaften“ im Februar 2011 eingestellt wurden, will sich die Staatsanwaltschaft mit dem Skandalurteil nicht zufriedengeben und legte inzwischen Berufung ein: „Das Strafmaß wird dem Unrechtsgehalt der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht“, begründet die Behörde ihre Forderung von zwei Jahren und sechs Monaten Haft in ihrer Berufung.

Maßnahmen wie die in Dresden sind leider keine Ausnahmen sondern entwickeln sich immer mehr zur polizeilichen Standardtaktik. Dies lässt sich in Baden Württemberg anhand der Polizeikessel feststellen, die bei Antinazi Protesten 2009 in Ulm, 2011 in Heilbronn, 2012 in Stuttgart und Göppingen durchgeführt wurden.

Unser Bündnis ist deshalb solidarisch mit Tim und allen anderen betroffenen AntifaschistInnen die Repressionen ausgesetzt sind, weil sie die Neonaziaufmärsche verhindert haben.

Pressemitteilung im PDF Format

Presseerklärung des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit zu anlasslosen Videoüberwachung bei Demonstrationen

Stuttgart, 12.12.2012. Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit hat das Innen- und Justizministerium um eine Stellungnahme zur anlasslosen Videoüberwachung auf Demonstrationen gebeten.

Die erste Stellungnahme von Innenminister Gall bzw. dessen Stellvertreter, Landespolizeipräsident Prof. Dr. Hammann ging überhaupt nicht darauf ein, dass laut einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23.11.2010 (Aktenzeichen 5 A 2288/09) nicht ohne gesetzliche Grundlage gefilmt werden darf. Diese existiert nur in akuten Gefahrensituationen bzw. zur Beweissicherung von Straftaten oder anderer akuten Gefährdungen der öffentlichen Ordnung. In anderen Fällen darf nicht gefilmt werden.

Auch wenn nur der Anschein der Videoüberwachung entsteht, schränkt dies die „innere Versammlungsfreiheit“ ein und ist daher unzulässig.

Auf erneutes Nachfragen durch das Versammlungsrechtsbündnis wird vom Innenministerium wieder nicht auf diesen Sachverhalt eingegangen und lapidar darauf verwiesen, dass die „...Beweissicherungsbeamten gelegentlich die Funktionsfähigkeit ihrer Videotechnik überprüfen (...) Dies bedeutet aber nicht, dass zeitgleich eine Aufzeichnung erfolgt“.

Mit einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema durch das Innenministerium ist offensichtlich nicht zu rechnen, wenn derart hanebüchene Ausreden herhalten müssen, um berechtigte Fragen nach der Rechtsstaatlichkeit des Einsatzes von Videoüberwachung bei Demonstrationen abzuwiegeln.

Wir hatten unserem zweiten Schreiben eine ausführliche Dokumentation von 19 Fällen anlassloser Video- und Fotoüberwachung aus den Jahren 2011/12 durch die Polizei bei Demonstrationen in 9 Städten und Gemeinden Baden-Württembergs beigefügt.

Das Innenministerium geht in seinem Antwortschreiben darauf mit keinem Wort ein. Unseres Erachtens lässt das nur den Schluss zu, dass dieser flächendeckende Rechtsbruch im Einverständnis oder sogar auf Veranlassung des Innenministeriums geschieht.

Ein Weiterführen des Schriftwechsels mit dem Innenministerium scheint aufgrund der bisherigen Korrespondenz nicht sinnvoll.

Uli Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag, hat am 05.12. 2012 im Stuttgarter Rathaus bei der Veranstaltung „Der schwarze Donnerstag – was noch aufzuarbeiten ist“ angekündigt, wegen der Dauervideoaufzeichnungen, die bei Protesten gegen S21 und Naziaufmärschen zu einer regelrechten Unsitte geworden sind, aktiv zu werden.

Uli Sckerl unterstützt damit eine Forderung, die unser Bündnis seit Jahren erhebt. Wir begrüßen daher diese Initiative, geltendes Recht endlich zur Anwendung zu bringen.

Wir prüfen darüber hinaus weitere Mittel, um gegen diesen fortwährenden Rechtsbruch vorzugehen.

Download der Pressemitteilung (PDF)

Solidarität mit Deniz K.!
Die ca. 100 Anwesenden der vom Bündnis für Versammlungsfreiheit unterstützten Veranstaltung „Mit Auflagenbescheid und Pfefferspray- Repression gegen politisch Aktive“ vom 22. November 2012 im „Linken Zentrum Lilo Herrmann“ , Stuttgart Heslach verabschiedeten einstimmig ohne Enthaltung folgende Solidaritätserklärung mit dem kürzlich in Nürnberg verurteilten Antifaschisten Deniz K. :

„Wir erklären unsere unverbrüchliche Solidarität mit dem vom Landgericht Nürnberg am 14. November 2012 zu 2 ½ Jahren ohne Bewährung verurteilten 19-jährigen revolutionären Antifaschisten Deniz K. und protestieren entschieden gegen diese Kriminalisierung und versuchten Einschüchterung des berechtigten Kampfes aller Antifaschisten.

Wir fordern:
• Vollständige Rehabilitierung des Ansehens von Deniz K.
• Freiheit und Gerechtigkeit für Deniz K.
• Bestrafung der Staatsanwaltschaft und weiterer Verantwortlicher für diese Rechtsbeugung
• Verbot aller Nazibanden und ihrer volksfeindlichen Propaganda und Auflösung der Geheimdienste
• Keinen Fußbreit den Faschisten

Stuttgart, den 22. November 2012"


Solidaritätserklärung des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit mit den Ford ArbeiterInnen

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Ford Genk,
wir, das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit, protestieren gegen den Polizeieinsatz und Eure Einkesselung durch die Kölner Polizei.

Wir verurteilen den Versuch, den Kampf um eure Arbeitsplätze zu kriminalisieren und erklären uns mit Euch solidarisch.

An die 400 Einsatzkräfte plus Hubschrauber gegen 250 Arbeiterinnen und Arbeiter, die um ihre Existenz kämpfen, ist nicht gerade ein Zeichen von Stärke, sondern zeigt eher die Nervosität der Behörden und ihrer Auftraggeber.

Viele von Euch waren überrascht über das Vorgehen der Polizei in Deutschland. Leider ist das inzwischen in Deutschland trauriger Alltag:

Wurden bisher vor allem Antifaschisten eingekesselt, die gegen Naziaufmärsche demonstrierten, ist dies seit langem das erste Mal, dass Gewerkschafter/innen in einer solchen Weise "behandelt" werden.

Wir fordern von den deutschen Behörden die Einstellung aller Verfahren gegen Euch!

Wir appellieren an die die IG-Metall Köln und Eure deutschen Unterstützer, die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes und Eurer Abschiebung nach Belgien überprüfen zu lassen.

Für den weiteren Kampf um Eure Arbeitsplätze wünschen wir euch viel Erfolg!

(...)
Download der Solidaritätserklärung



Für ein fortschrittliches Versammlungsrecht!

Im Jahr 2008 konnte sich die damalige CDU Landesregierung mit ihrem Plan zur Verschärfung des Versammlungsrechts gegen breiten Protest nicht durchsetzen.

Zu offensichtlich waren die Versuche, demokratische und antifaschistische Proteste durch bürokratische Maßnahmen zu erschweren und Menschen abzuschrecken, an diesen teilzunehmen.

Seit diesem fehlgeschlagenen Versuch besteht auch unter der neuen Landesregierung der Wunsch, missliebige Proteste zu behindern. Dazu wird, entgegen der Ankündigung eines „bürgerfreundlichen Versammlungsgesetzes" im Koalitionsvertrag, das unüberschaubare juristische Dickicht behördlicher Verordnungen eher noch verstärkt als beseitigt.

Während für kommerzielle Veranstaltungen und genehme Großevents kein Aufwand und keine Mühe gescheut wird diese zu ermöglichen, erleben Menschen, die beispielsweise gegen Nazis, Stuttgart 21 oder Bundeswehreinsätze aktiv werden wollen, oftmals eine Kriminalisierung ihres Engagements.

Der Öffentlichkeit wird dies meist als Schutzmaßnahme vor vermeintlich gewalttätigen Eskalationen seitens der Protestierenden dargestellt, um den Protest zu spalten.

Für das seit 2008 bestehende breite Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit ist es daher ein Anliegen auch nach dem Abtritt der CDU für ein fortschrittliches Versammlungsrecht einzutreten.

Wir stehen dafür, dass fortschrittliche Initiativen und Organisationen neben ihren primären Zielen auch für das Recht auf Versammlungsfreiheit aktiv werden und bieten hierfür eine Plattform. Ohne dieses Recht, jederzeit und überall für demokratische und antifaschistische Ziele eintreten zu können, nützt die beste Initiative nichts.

Als Bündnis stellen wir deshalb klare Forderungen an ein fortschrittliches Versammlungsgesetz:

• Versammlungsrecht für alle hier lebenden Menschen unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit.

• Kostenfreiheit (Keine Anmelde-, Wegtrage- oder Nutzungsgebühren).

• Kreative Aktionsformen wie Flashmobs, Sitzblockaden, Spontandemonstrationen müssen möglich sein.

• Streikposten müssen als Teil von Arbeitskämpfen gesetzlich geschützt werden.

• Protestkundgebungen gehören den Protestierenden.

• Abfotografieren / Filmen und Abhören von Protestteilnehmern durch Polizeibeamte ist zu unterlassen.

• Protest muss sicht- und hörbar sein. Interessen des Einzelhandels und von Verkehrsteilnehmern dürfen keinen Anlass zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit darstellen.

• Keine beschränkenden Behördenauflagen wie Vorschrift der Transparentlänge, Einschränkung der Megaphonnutzung etc.

Letztlich liegt es an uns allen die bestehenden Rechte zu verteidigen und auszuweiten.

Dies geschieht, indem wir aktiv an Demonstrationen und Kundgebungen teilnehmen und uns im Falle von Einschränkungen und Kriminalisierungen mit den Betroffenen solidarisieren.

Als Bündnis möchten wir einen Beitrag hierzu leisten und das Thema Versammlungsrecht durch Öffentlichkeitsarbeit verstärkt ins Bewusstsein der Allgemeinheit rücken.

Nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in Bayern, Niedersachsen und weiteren Bundesländern wurde und wird das bürgerlich-demokratische Recht auf Versammlungsfreiheit ausgehöhlt. Aus diesem Grund haben wir uns auch mit Bündnissen in anderen Bundesländern vernetzt.

Grundlage unseres Bündnisses ist ein von inzwischen über einhundert Organisationen und Einzelpersonen beschlossener und unterzeichneter Aufruf, der ebenfalls auf unserer Website abrufbar ist. Dieser kann noch immer unterzeichnet werden. Bitte dazu eine Mail schreiben an: kontakt@versammlungsrecht.info

Wir finanzieren uns ausschließlich über Spenden unserer Bündnispartner.

Bündnis f. Versammlungsfreiheit
Kontonummer: 101 612 232
Bankleitzahl: 61150020 (Kreissparkasse Esslingen)

• Für eine aktive Protest- und Widerstandskultur!

• Ja zur Versammlungsfreiheit!

Aus unserer Arbeit

Demonstration „Nein zur Verschärfung des Versammlungsgesetzes"

Im Sommer 2008 veröffentlichte die damalige schwarz-gelbe Landesregierung einen Referentenentwurf. Über einhundert im Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit vereinte Gruppen, Parteien, Gewerkschaften und Einzelpersonen organisierten daraufhin unter anderem eine Großdemonstration im Herbst 2008 mit über 6000 TeilnehmerInnen in Stuttgart. Unter anderem auch deshalb blieb der Entwurf der CDU Landesregierung in der Schublade.

Seitdem arbeitet unser Bündnis kontinuierlich für ein fortschrittliches Versammlungsrecht. Zu den regelmäßigen offenen Treffen laden wir herzlich ein, aktuelle Termine finden sich auf unserer Homepage.

Demobeobachtung

Die Arbeitsgruppe Demobeobachtung möchte die Gewährleistung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit überprüfen und zu einer besseren öffentlichen Wahrnehmung von Demonstrationen und Kundgebungen beitragen.

Beobachter sind während der Versammlung als solche kenntlich und an verschiedenen Punkten präsent. Die gemachten Beobachtungen werden dokumentiert und im Anschluss an die Versammlung in Form eines Berichtes veröffentlicht.

Um vor allem bei größeren Demonstrationen den Überblick bewahren zu können, werden dringend weitere Beobachter gesucht, die bereit sind verbindlich in der Arbeitsgruppe mitzuarbeiten.

Stuttgart 21

Stuttgart 21 hat viele Menschen, die erstmals oder nach langer Zeit wieder auf Demonstrationen gegangen sind, anschaulich gemacht, dass staatliche Repression gegen Demonstranten nicht auf Militärregimes beschränkt ist. Trotz verfassungsrechtlich garantierter Demonstrationsfreiheit wurde und wird hier vor Ort in Stuttgart wiederholt die Versammlungsfreiheit massiv beschnitten. Durch Demobeobachtungen, Pressemitteilungen etc. versuchen wir auch hier die Gewährleistung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit zu unterstützen, sowie auf Verfehlungen der Ordnungsbehörden aufmerksam zu machen.

Veranstaltungen und Referenten


Auf zahllosen gut besuchten Veranstaltungen konnten unsere ReferentInnen überzeugend darlegen, was hinter den Versuchen zur Verschärfung des Versammlungsrechtes steckt, warum das Eintreten für Versammlungsfreiheit kein "Nebenkriegsschauplatz", sondern Sache jedes demokratisch und antifaschistisch eingestellten Menschen ist.

Die Flyer sind unter anderem im DGB Haus Stuttgart, dem Linken Zentrum Lilo Herrmann sowie bei den Bündnispartnern erhältlich.

Download des Flyers (PDF)

Versammlungsrecht als Herrschaftsinstrument zur Kontrolle von politischen Protesten

Politische Versammlungen wie zuletzt die Revolutionäre 1.Mai-Demo in Stuttgart werden von den Behörden zunehmend blockiert, so das Bündnis für Versammlungsfreiheit Stuttgart. Im Interview mit Radio Dreyeckland spricht Thomas Trüten vom BfV über solche "undemokratischen Sitten" wie Auflagen gegen Spendensammlungen, das martialische Auftreten der Polizei, die Missachtung öffentlicher Räume und Gerichtsurteile und Praktiken wie das routinemäßige Abfilmen von Demonstrierenden. Auch die aktuellen Zustände bei Blockupy in Frankfurt werden angesprochen.

Zum Interview

Pressemitteilung des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit vom 16. Mai 2012:

Grundrecht auf Versammlungsfreiheit durch Behördenwillkür bedroht

"Was wir derzeit erleben, ist eine Erosion des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird von untergeordneten Behörden wie dem Ordnungsamt oder der Polizei absichtlich ignoriert und nach eigenem Belieben ausgelegt" (Thomas Trüten, Sprecher des Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit am 21.3.2012)

Diese Erosion nimmt zunehmend drastischere Formen an und trifft verschiedenste Spektren der Protestbewegung. Als Beispiel genügt es, zwei Wochen im Mai 2012 zu betrachten, die diese Entwicklung verdeutlichen:

1. Mai 2012:
Die revolutionäre 1. Mai-Demonstration in Stuttgart wird mit einem wandernden, hochgerüsteten Polizeikessel durch die Stadt "begleitet". Einschüchterung der Versammlungsteilnehmer und Abschreckung potenzieller Teilnehmer unter den Passanten ist die Absicht. Pressefotografen, die dieses Szenario festhalten, wird mit Platzverweis gedroht, weil "weil einzelne Beamte es ablehnen, fotografiert zu werden".

Dies steht ganz im Widerspruch zu einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2012 (Az. 6 C 12.11), das feststellt, dass ein Polizeieinsatz ein "zeitgeschichtliches Ereignis" ist, von dem Bilder auch ohne Einwilligung der abgelichteten Personen veröffentlicht werden dürfen.

7. Mai 2012:
"Die Stuttgarter Polizei beschlagnahmte am Ende der letzten Montagskundgebung gegen Hartz IV die, von Passanten und Demonstranten für die Arbeit der Montagsdemo gespendeten 93 € aus der auf der Straße aufgestellten Spendendose.
Montagsdemonstranten und Passanten, die sofort gegen diese unrechtmäßige Polizeiaktion protestierten, wurde "Widerstand gegen die Staatsgewalt" vorgeworfen. Acht mit Blaulicht auf den dicht belebten Schloßplatz auffahrende Polizeifahrzeuge erweckten den Eindruck einer gefährlichen Situation. Immer mehr Passanten brachten ihre Empörung über diesen Akt der Polizeiwillkür mit Sprechchören zum Ausdruck: von "Das ist unser Geld!" bis "Polizeistaat!".
Vor wenigen Wochen erst konnte sich das Stuttgarter Amt für öffentliche Ordnung mit einem Strafbefehl gegen die Versammlungsleiterin der Montagsdemo vor dem Amtsgericht nicht durchsetzen und musste seine Auflage dahingehend korrigieren. dass das Aufstellen einer Spendendose zulässig ist." (aus der Presseerklärung der Stuttgarter Montagsdemo gegen Hartz IV vom 9.5.2012 )

10. Mai 2012:
Aktivisten der Initiative "Cannstatter gegen S21" wird das Verteilen von Flugblättern im Cannstatter Bahnhof verboten und ein zweijähriges (!) Hausverbot gegen sie verhängt: "… auf Grund des Hausrechtes der DB Stations & Service AG verbieten wir Ihnen ab sofort bis zum 25.4.2014 den Bahnhof Bad Cannstatt einschließlich seiner Einrichtungen ( Toiletten etc.) zu betreten." Mit Rücksichtnahme auf die eigenen Geschäfte werden die Betroffenen nicht generell vom Bahnverkehr ausgeschlossen. "Sie haben sich in diesem Fall jedoch auf dem kürzesten Weg unverzüglich zu und von den Zügen zu begeben." (Grundrecht auf Meinungsfreiheit contra Hausrecht der Bahn AG auf BAA vom 10.5.2012)

Auch dies geschieht im Widerspruch zu einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2011 (1 BvR 699/06) in dem festgestellt wird, dass Flughäfen, Bahnhöfe etc. öffentlicher Raum sind und die Grundrechte dort natürlich auch gelten.

Diese Erosion der Grundrechte ist keine Stuttgarter Spezialität. In Frankfurt werden alle Demonstrationen der Blockupy Bewegung komplett verboten bis hin zur Kundgebung der "Ordensbrüder für den Frieden".

Thomas Trüten weiter: "Dieser Entwicklung muss neben der notwendigen juristischen Auseinandersetzung, auf der Straße und politisch entgegengetreten werden. Die Forderung nach einem fortschrittlichen Versammlungsgesetz steht auf der Tagesordnung. Und zwar offensichtlich bundesweit. Deshalb unterstützt unser Bündnis die Proteste gegen das Demo- und Versammlungsverbot der Blockupy Aktionen in Frankfurt, unter anderem der Demonstration des Komitees für Grundrechte und Demokratie für das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit am Donnerstag, 17. Mai, um 12 Uhr auf den Frankfurter Paulsplatz.“

Download der Pressemitteilung als PDF Datei



Grundsatzerklärung gegen jeden Extremismusbegriff

Mit Sorge nimmt das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit die zunehmende Gleichsetzung "linker" und "rechter" Politik zur Kenntnis. Insbesondere im Vorfeld antifaschistischer Proteste gegen Naziaufmärsche bestimmen derartige Argumentationen die öffentliche Debatte.

Eine besondere Qualität erreicht dieser Vorstoß im juristisch stark umstrittenen Sächsischen Versammlungsgesetz. Hier heißt es unter Anderem, dass Versammlungen verboten werden können, wenn "Organe oder Vertreter der nationalsozialistischen oder kommunistischen Gewaltherrschaft als vorbildlich oder ehrenhaft" (§15 SächsVersG) dargestellt werden.

Auch die baden-württembergische Landesregierung, vertreten durch Innenminister Gall (SPD), erklärte in einer Stellungnahme im November 2011 ein „Konsequent repressives Vorgehen“ für notwendig und befürwortet eine „Präventionsarbeit in allen Phänomenbereichen (...), um extremistischen Bestrebungen den Nährboden zu entziehen.“

Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit lehnt jede Gleichstellung linker Politik mit rechten und nationalsozialistischen Umtrieben und die hieraus folgende Diskreditierung von antifaschistischem Engagement konsequent ab! Die zunehmende Etablierung von Extremismustheorien in gesellschaftspolitischen Debatten widerspricht grundlegend dem Bild gelebter Demokratie.

Als spektrenübergreifendes Bündnis auf antifaschistischer Grundlage haben wir in den vergangenen Jahren eine Vielzahl positiver Erfahrungen sammeln können. Hieran möchten und werden wir weiterhin anknüpfen.

Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit, 09. Februar 2012



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